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BeidiesemBesuchinBegleitungvonFerdinandundLeopoldwurdeesspät,undalsdiedreigehenwoll-
ten, dunkelte es bereits und der Regen wurde immer dichter. Ein zufälliger Besuch - ein entfernter On-
kel, der in einem großen Konzern eine Werkmeisterstelle innehatte und der der Liebhaber jener blond-
gefärbten Camilla aus Wien war, bei der sich mein betrunkener Stiefvater so zügellos eingehängt hatte -
besaß ein Auto, und ich bat ihn, doch die Tante mit den beiden Buben den weiten Weg mit dem Auto
nach Hause zu fahren. Er erklärte sich einverstanden und ich durfte mit. Wir fuhren um acht Uhr abends
los und machten uns auf den Weg zum zehn Kilometer entfernten Straning. Der dichte Regen ließ die
Innenseite der Autoscheibe beschlagen, so dass die Sicht ganz vernebelt war. Ich wollte helfen und ver-
suchte die Windschutzscheibe mit einem Stück Zeitungspapier, das ich im Seitenfach der Tür fand, ab-
zuwischen und so vom Kondenswasser zu reinigen. Doch meine Wischbewegungen während der Fahrt
beeinträchtigten die Sicht des Onkels, und er schrie mich an, dass er mich nie mehr mit seinem Auto
mitnehmen werde. Wieder einmal war ich gedemütigt und erniedrigt worden; schämte mich vor meinen
beiden Cousins und vor meiner Lieblingstante. Zugleich spürte ich in meinem Rücken ihre milden, gut-
mütigen Augen und ihre unausgesprochenen Worte - sei doch dankbar, er will dir ja nur helfen -, spürte
auch, wie die harten Worte des Onkels auch sie beleidigt und erniedrigt hatten.
DiesesinstinktiveVertrauen,dasichgegenüberTanteHildafühlte,diesesMütterliche, habeichbeimei-
ner eigenen Mutter nie gespürt. Ein einziges Mal, erinnere ich, hat meine Mutter mich geküsst. Es war
Abend, ich lag bereits im Bett, sie nahm meine Bettdecke, zog sie mir bis zum Hals hinauf und schaute
mich an, streichelte mir über meine blonden Haare, und ich sah, wie sich ihr breiter Mund zu mir nie-
derbeugte und mich auf meinen kleinen, etwa fünfjährigen Mund küsste. Sie hat es nur getan, weil sie
wusste, dass mein Stiefvater nicht da war und es nicht sehen konnte. Er wollte nicht, dass sie mir Liebe
schenkte. Nie mehr später habe ich von meiner Mutter ein solches Zeichen der Zuneigung erfahren wie
bei diesem einen Kuss.
Wie gesagt, neun Buben hatte die Tante Hilda bereits geboren. Jedes Jahr einen. Nach so vielen Buben
war nun ihr Wunsch - und auch der Wunsch ihres Mannes, Onkel Ferdinand - die Geburt eines Mäd-
chens. Zur Zeit war Tante Hilda im fünften Monat schwanger. Es sollte der letzte Versuch sein. Wenn es
jetzt kein Mädchen würde, dann sollte es eben so sein. Dann sollten es halt zehn Buben sein, dann hatte
der Herrgott es so entschieden.
Es wurde ein Mädchen. Die Freude war groß. Sämtliche Verwandten wurden zur Taufe eingeladen. Für
das festliche Taufmahl gab man noch das letzte mühsam ersparte Geld aus. Der Pfarrer hielt eine Rede,
die sich eher wie ein Gebet anhörte, und dann hat er so viel gegessen und getrunken, dass er schließlich
kaum mehr atmen konnte. Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral, hat er immer wieder gesagt; das
allerdingsnichtwährendseinergebetsartigen Rede.Und:EssenundTrinkenhältLeibundSeelezusam-
men. Das hat er sehr ernst und genau genommen.
Bis nach zehn Uhr abends haben sie Wein und Schnaps gesoffen und Wurst, Käse und kalten Schweine-
braten mit Kren und Gewürzgurken in sich hineingestopft, bis sie mit Essen und Trinken voll bis oben-
hin waren. Da haben sie sich vor Mitternacht dann den Finger in den Hals gesteckt und alles wieder
ausgespien, um nun weiterzuessen und weiterzutrinken. Sämtliche Bauern und auch Onkel Ferdinand,
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