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Sebastian Sandiger war mit seiner Stellung bei der Hermine zufrieden; er war nun der Debringerbauer.
Vondaanwurdeer,wennmanvonihmsprach,auchimmerderDebringer-Sebastiangenannt.DerName
Sandiger war vergessen, jedenfalls was den Debringerbauern anging.
An einem heißen Julitag starb Hermine Debringer. An diesem Tag ging sie schon um drei Uhr nachmit-
tags nach Hause und sagte, dass sie müde sei, und ihr Herz rase viel zu schnell, ihr sei schwindelig und
ihr bereits viel zu hoher Blutdruck sei noch mehr gestiegen. Sie legte sich, ohne sich auszuziehen oder
nach ihren Binden zu sehen, flach aufs Bett, und als der Debringer-Sebastian nach ihr schaute, sagte sie
keinWortmehr.IhregroßenwässrigenAugenwarenaufgerissen,derMundoffenunddieBindenanden
dicken Beinen waren von Blut, Eiter und brauner Salbe genässt.
Die vor einigen Monaten neu ins Dorf zugezogene und nun auf dem Dachboden des Debringerhauses
wohnendeSalimitihrerblassenGesichtshautwurdeihrerwirrenrotblondenHaarewegenvondenDorf-
bewohnern verächtlich „Rote Sali“ genannt. Die Rote Sali sorgte für reichlich Gesprächsstoff und uner-
müdlichen Redebedarf auf den Bänken vorm Haus, wo die Alten saßen und wo auch schon ihre Väter
und ihre Großväter in der goldenen Abendsonne gesessen und sich über ähnliche Themen, Schicksale,
Geschichten das Maul zerrissen hatten. Sali hatte ihren Mann und ihre sechs Kinder wegen eines zehn
Jahre jüngeren Knechts aus dem oberen Waldviertel verlassen, der seinerseits ebenfalls ihretwegen sei-
ne Familie verlassen hatte. Die meisten Bewohner in dem Hundertseelendorf mieden und schnitten die
Sali, wann immer sie des Weges kam. Die Nachbarn nannten sie eine dahergelaufene Hure, die keinen
FunkenMoralundAnstandbesitzeundanderenFrauendenMannwegnehme.DieKinderhörtendieab-
fälligen und verächtlichen Reden der Eltern und zogen sich, wenn sie am Debringerhaus vorbeigingen,
an der Hausmauer empor, reckten das Gesicht über die Mauer und riefen laut in den Hof hinein: „Sali,
du Hur.“ Sogar am Gemeindeamt schrieben sie mit Kreide an die schwarze Mitteilungstafel: „Sali, die
alte Dorfhur.“
Sali aber verkroch sich nicht in ihrer Behausung auf dem Dachboden des Debringerhauses, sondern zog
am Samstagabend, wenn die anderen Bauernmädchen und Mägde mit ihren Riadlbesen die lehmig-er-
digen Trottoirs sauberkehrten, schöne, rote, auffällige Kleider und Stöckelschuhe an. Man erzählte sich,
dass sie sich, wenn sie mit ihrem Geliebten allein war, sogar die Lippen rot schminkte! Ihrem Liebha-
ber, dem Knecht, der ihretwegen seine Frau verlassen hatte, wurde die Feindseligkeit der Dorfbewohner
schließlich jedoch unerträglich und er lief eines Nachts bei Wind und Wetter aus dem Haus und kam nie
mehr zurück.
Dem Debringer-Sebastian war das nur recht. Er wartete schon lange auf eine passende Gelegenheit, mit
der rotblonden Sali anbandeln zu können. Seit die dicke, hässliche Hermine mit den offenen Beinen tot
war, suchte er eine Frau, die ihm die kleine Klitsche bewirtschaften half, die ihm die schwergewichtige
Hermine vererbt hatte.
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