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schlungen hatten. An hohen Stauden ringelten sie sich zuhauf empor. All diese selbst angebauten Gar-
tenfrüchte waren zum Überleben dringend nötige Nahrungsmittel.
Ein idyllisches Bild, doch eine Idylle, die trog. Unser Dorf war kein Paradies, kein Garten Eden. Viele
im Dorf wollten bessere und schönere Gärten haben als ihre Nachbarn. Eine gewisse Hinterhältigkeit
steckte in jedem Dorfbewohner.
Die Ernte im Garten erfüllte mich mit wahrer Glückseligkeit. Schon beim Pflücken und Einbringen der
Früchte konnte ich in unbeobachteten Momenten meinen ersten Hunger, meine erste Lust auf die sel-
tenen Köstlichkeiten, befriedigen und stillen. Es waren alles kostbare Nahrungsmittel, die es nur kurze
Zeitgab.WennderSommerAbschiednahm,warenauchdiemeistenderwunderbarenFrüchte,Gemüse
und Blumen rasch verschwunden.
Meine ganze Sehnsucht konzentrierte sich nun auf die baldige Traubenernte. Alle Müh und Plag von
Frühjahr und Sommer war jetzt vergessen. Das letzte Aufbäumen vor dem kalten, langen Winter. Die
BauernversammeltensichfürdienächstenvierzehnTageindenWeingärten,umdiegoldenenundblau-
en Trauben einzubringen und zu keltern, auf dass guter Wein aus ihnen werde. Wenn die Trauben zu
Maische gequetscht wurden, stellte ich mich mit den nackten Füßen in den Maischebottich, zog mei-
ne ohnehin kurze Hose ganz nach oben über die Schenkel und stampfte die tief dunkelrote Maische in
rhythmischem Takt, bis auch die letzten Trauben geöffnet waren, so dass die Maische in die Presse ge-
schüttet werden konnte, wo sofort der wunderbar süße Most zu fließen begann. Stolz zeigte ich meine
bis weit über die Knie blutrot verfärbten Beine herum.
Einige späte Sommerfrischler haben sich im Dorf eingefunden. Camilla, eine vierzigjährige, blondge-
färbte Wienerin, die Geliebte eines entfernten Onkels von mir, stolzierte mit hohen Absätzen über die
herbstfeuchte braune Erde wie der aufgeplusterte rostbraune Hahn über unseren Misthaufen mitten im
Hof. Dünne schwarze Bögen rundeten sich über ihren Augen und ihr Mund war kirschrot und verführe-
risch.MeinStiefvaterließseinemschwachenWesenfreienLaufundglotztedieaufgedonnerteBlondine
mit seinen Stielaugen an, zog sie mit seinen versoffenen Augen beinahe aus. Auf dem Heimweg vom
Weingarten hängte er sich mit leichtem Hinken bei ihr ein, reckte sein braungebranntes Gesicht mit den
buschigen Augenbrauen stolz und siegessicher gen Himmel, so dass seine hagere Gestalt noch mehr zur
Geltung kam, und zog sie an sich heran, um ihren warmen, weiblichen Körper zu spüren. Meine Mutter,
wie tagtäglich von der vielen Arbeit ausgelaugt und verbraucht, dachte besonnen und klug an das Gute
im Menschen und ließ das schändliche Treiben ihres Mannes geschehen, wissend, dass die Unheilbrin-
gende doch bald wieder aus unserem Dorf verschwinden und zurück in die Großstadt fahren würde.
Ichfühlte dasLeiden meiner Mutter,dieDemütigung undZurücksetzung, undschämte mich mit meiner
Mutter für diesen zügellosen Mann. Auch mochte ich diese Camilla mit ihren kirschroten Lippen nicht.
Wenn ich der überreifen Blondine ein Glas Wasser gab, schenkte sie mir dafür einen Schilling. Sie er-
kaufte sich damit meine Gunst. Das erinnerte mich an unseren Pfarrer Gregor Bolognia. Nach der hei-
ligen Messe gab er mir für meinen Ministrantendienst ein kleines Taschengeld aus dem Klingelbeutel.
Wenn es einmal allzu klein ausfiel, mischte ich Wasser und Wein bei der nächsten Wandlung auch in
einemeherkleinlichen Verhältnis -unddaszeigteWirkung.BeiderMessedanachwardasTaschengeld
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