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Die Alten saßen auf den knorrig-gemütlichen Holzbänken vorm Haus, auf denen schon ihre Väter und
ihre Großväter gesessen hatten, schauten mit leerem Blick aus ihren tiefliegenden hohlen Augen auf die
ihnengegenüberfürdenWinteraufgeschichteten KlafterBrennholzscheite undüberdendahinterliegen-
den,mitverwittertenHolzbretterneingezäuntenGarten,dermitbuntenBlumenbeetenvonAstern,hoch-
stieligen Sonnenblumen, weißen und roten Dahlien und langen, schmalen Rabatten von stark riechen-
demDillkrautsowiedunkelgrünergroßblättrigerPetersilieundsilbrigmattglänzendemSalbeibepflanzt
war. Dabei erzählten sie sich die Neuigkeiten, die fast jeder schon kannte. Neuigkeiten, die wieder und
wieder neu erzählt und verdreht wurden, bis sie ganz andere Geschichten waren. Lediglich der wahre
Kern blieb der gleiche, alles rundherum hatte sich am Ende völlig verändert und verkehrt.
Die Mirkan-Ursl hatte ein Kind von einem verheirateten Mann bekommen. Diese Tatsache war zu bere-
den. So was passiert nicht alle Tage in dem kleinen, langgestreckten Hundertseelendorf. Jede und jeder
zerriss sich das Maul. Die betrogene Ehefrau ertrug es mit Qual. Sie sagte, es sei auch nicht ihre Schuld,
dass er zu der um fünfundzwanzig Jahre jüngeren Ursl gegangen sei; sie habe sich ihrem Poildl immer
hingegeben, wo er wollte und wann er wollte. Die verachtenden Blicke der übrigen Dorfbewohner seien
SchmachundSchandegenugfürsie,scheidenaberlassesiesichnicht.Wassollesieauchtun?Wosollte
sie hingehen? Seit er mit der Ursl das außereheliche Verhältnis habe, sage er ihr nur Grobheiten, schlage
sie immer wieder und wolle, dass sie aus dem gemeinsamen Haus ausziehe.
Freitag Nachmittag stand ich mit meiner Mutter in der Küche, ich hielt soeben den grausilbrigen Alu-
miniumtopf mit der heißen Milch fest in beiden Händen und meine Mutter rührte mit einem hölzernen
Kochlöffel Grieß ein, um für das Abendessen Grießkoch mit Zucker zu machen, da kam die betrogene
Ehefrau weinend und mit schmerzverzerrtem Gesicht, die Hände auf die Schulter gepresst, und zeigte
uns den großen Fettfleck, der ihre Kleidung, und den blau unterlaufenen Fleck, der ihre Haut verunstal-
tete,nachdemihrManneineheißeBratpfannemitsiedendemFettnachihrgeworfenhatte.Siewarnicht
die Einzige im Dorf mit einem derartigen Schicksal, nur gab es im Fall der anderen Schicksale kein sol-
ches lebendiges, strampelndes und brüllendes Corpus Delicti in Windeln, wie es die Mirkan-Ursl vorzu-
weisen hatte. Wenn ihr Sohn sie nicht zurückgehalten hätte und sie zudem nicht so feige gewesen wäre,
so sagte die betrogene Ehefrau, dann hätte sie sich schon umgebracht.
ImWeingarten, drobenaufdemBerg,wusstesieweiter zuberichten, dahätten siesichimmer getroffen.
Drinnen in der kleinen, behelfsmäßig aus Holz gezimmerten Schutzhütte hätten sie zusammen Wein ge-
trunken und Zärtlichkeiten ausgetauscht. Der Schickler-Ferdl habe einmal gesehen, wie sie zusammen
hineingegangenseien,unddahaterseinrechtesOhrandiegrobenaltenBretterderHolztürgepresstund
gelauscht, was sie redeten, und dabei dem Leopold sein Stöhnen, Ächzen und Prusten und der Ursl ihr
„Nein, Nein!“-Gewimmer gehört. Doch alles Nein hat nichts genützt, es ist passiert. Das hat der Ferdl
dann alles halblaut im Dorf herumerzählt, wobei er allen mit wichtiger Miene die Pflicht zu schweigen
aufgetragen hat.
Auch das hat nichts genützt, die Leute haben es auf den Bänken vorm Haus, auf denen schon ihre Väter
und deren Väter saßen, weitergeflüstert und weiterberichtet, bald mit völlig anderen Worten, unter vor-
gehaltener Hand. Dumm stehe sie nun da, die betrogene Ehefrau. Sie erzählte meiner Mutter, sie wolle
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