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Die riesige Dreschmaschine wurde mit einem kleinen Benzinmotor betrieben, mit dem sie über einen
breiten Riemen verbunden war. Der kleine Benzinmotor habe zehn PS, sagte mein Stiefvater - da er in
allem, was er sagte, in der Regel übertrieb, dürften es in Wirklichkeit höchstens fünf PS gewesen sein.
Der Motor hatte ein großes Treibrad mit einer kleinen Walze daran, auf die der breite Antriebsriemen
aufgezogenwurde.SeinanderesEndewurdeübereineähnliche, größereWalzeanderetwasechsMeter
entfernten Dreschmaschine gezogen, die dann das ganze Werkel in Betrieb setzte.
DerBenzinmotorwurdemittelseinerKurbelinGanggesetzt,diemitvielKraftsolangegedrehtwerden
musste, bis der Motor zündete. Oft kam es vor, dass er nach dem Anspringen nicht gleich funkte, dann
wurde mein Stiefvater sehr ärgerlich; er drehte und drehte und merkte nicht, dass der Motor schon lief,
so dass ihm die Antriebskurbel, die er nicht schnell genug wieder abzog, ins Gesicht oder gegen ein
anderes Körperteil flog und ihn verletzte. Dann fluchte er und fluchte immer mehr, und alle außer ihm
hatten Schuld an diesem Missgeschick.
Standen Dreschmaschine und Motor nicht genau in gleicher, gerader Linie, kam es vor, dass der breite
Antriebsriemen einfach absprang. Dann befahl der Stiefvater, ich solle mich mit einem dicken langen
Holzstab neben den schnell laufenden Antriebsriemen stellen und den Riemen mit dem Holzstab dar-
an hindern, von den beidseitigen Walzen abzuspringen. Manchmal half auch mein Dagegenhalten nicht,
und der breite Riemen flog mit großer Wucht und Geschwindigkeit ab und mir an Kopf und Arme, so
dass die scharfen Kanten des Riemens mir tiefe Wunden schlugen, ins Gesicht, in die Wangen, mit der
Folge, dass ich zu Dr. Meinrath nach Ziersdorf gebracht werden musste, der die Wunden wieder zusam-
menzog und zunähte.
Nachdem die Drescharbeit erledigt war, ging mein Stiefvater in den Keller, um frischen, kühlen Wein
zu trinken. Das ließ ahnen, dass er eine Stunde später leicht bis mäßig betrunken wieder zurückkommen
würde. Von da an, und mit jedem Kellergang mehr, hatte ich mit meinen Gesprächen und Äußerungen
sehr vorsichtig zu sein, jetzt war er reizbar und unberechenbar. Wenn seine Stimme die Luft wie eine
scharfe Messerklinge durchschnitt, verstummte jede Unterhaltung abrupt. Hatte er keinen passenden
Grund gefunden, uns Kinder oder meine Mutter zu beschimpfen und zu beleidigen, so beleidigte und
beschuldigte er die Nachbarn aufs ärgste. Das machte er dann aber in einer gedämpften Lautstärke, so
dass sie es nicht hören konnten. Im Grunde war er sehr feige, hatte so gut wie keinen Mut, und es waren
immer nur deutlich Unterlegene, die seine Macht und Stärke zu spüren bekamen.
In der Flasche am Fensterbrett war ein kleiner Rest Rotwein
ImvierKilometerentferntenZiersdorfgabes,nebenderArztpraxisvonDr.Meinrath,demFleischhauer
Speidler und dem Kaufhaus Königsberger, auch ein Kino, das Weltspiegel-Kino. Einmal alle zwei Mo-
natefuhrenmeineMutterundderStiefvaterdorthin.DafürholteerdasalteMotorradausdemSchuppen
neben dem Plumpsklo mit dem großen und dem kleinen Loch und begann schon am Nachmittag damit,
es in Gang zu bringen und fahrbereit zu machen. Füllte erst aus einem graugrünen Blechkanister Ben-
zin in den kleinen ovalen Tank, dann putzte er die verrußten Zündkerzen mit einer Drahtbürste ab und
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