Travel Reference
In-Depth Information
denn die eine der angebauten Weizensorten hatte nur wenig kratzende Grannen und der gemeine, unbe-
grannte Weizen gar keine. Am angenehmsten war mir der Hafer, er hatte nur die nach unten hängenden,
glockenähnlichen, goldgelben Hülsen, die die Kornfrucht bargen und sich wunderbar weich und wohlig
anfühlten, fast wie Blumenknospen.
Je heißer die Mittagssonne wurde, desto unerträglicher wurde die trockene, staubige Luft. Meine Mutter
hatteihrhellblauesSommerkleidmitdenvielenausgewaschenenundvergilbtenweißenundrotenPunk-
ten darauf angezogen und trug ein nach hinten gebundenes Kopftuch aus demselben Stoff, aus dem
ihr blondes Haar herausschaute. Immer wieder wischte sie sich mit dem Zipfel der blauen Schü rze
den Schweiß von Stirne und Hals, und dann gab sie uns, damit wir unseren Flüssigkeitsverlust ob der
schweißtreibenden Tätigkeit ausgleichen konnten, die Flasche mit Wasser, wobei ihr manchmal ein bei-
nahe zärtliches Lächeln u
̈
ber den breitlippigen Mund huschte. Dem Stiefvater reichte sie die andere Fla-
sche,diemitdemverdünntenWein,denHaustrunk.Wasserhaterniegetrunken,seinganzesLebenlang
nicht. Meine Mutter hingegen trank Wein höchst selten und dann nur mit Verachtung. Sie hatte immer
dieBilderdavonvorAugen,wasder„TeufelAlkohol“,wiesiezusagenpflegte,mitihremMannanstell-
te, wie er ihn oft selbst zu einem Teufel gemacht hat. Beinahe die gesamte männliche Dorfbevölkerung,
soerzähltesiemir,wennwirzusammenaufdemPlumpsklosaßen,sieaufdemgroßen,ichaufdemklei-
nen Loch, sei dem Teufel Alkohol verfallen. Die vielen schwachsinnigen und geistig zurückgebliebenen
Kinder auf den Dörfern wurden von den Alten auf den Bänken vorm Haus nur abfällig „Rauschkinder“
genannt.
Um etwa drei Uhr nachmittags, nach der Jause, ging der Stiefvater den Leiterwagen holen. Auf diesen
Wagen, von einem unserer Haflinger gezogen, luden wir die gebündelten Korngarben vom Acker auf,
umsievomFeldindieScheunenebendemHauszubringen,wosiebiszumDachhinaufgestapelt wur-
den.IchstandganzobenimStrohschober,umdieGarbeninEmpfangzunehmenundsiegleichmäßigin
einer Reihe zu schichten, Garbe an Garbe, mit den Ähren nach vorn. Weiterverarbeitet, gedroschen und
gesiebt, wurde das Korn erst nach der Weinlese. Dann war auch Zeit dazu. Wenn die Zeit zum Dreschen
gekommenwar,standichwiederganzobenaufdemGetreideschober,umdemStiefvaterdieGarbenmit
dem vollen Korn zu reichen, die er dann in den Schlund der Dreschmaschine stopfte.
Im Laufe der Lagerzeit hatten sich viele Mäuse zwischen den Korngarben eingenistet. Die beiden Haus-
katzen - die graue Mirl und die andere, schwarz-weiß gefleckte, die, wie die meisten Katzen auf den
Höfen, keinen Namen hatte - wussten das und lagen aufgeregt in gebückter Fangstellung auf der Lauer.
Manchmal kam es vor, dass zwei Katzen die gleiche Maus im Visier hatten, und keine wollte auf das
Vergnügen verzichten, die Maus zu schnappen. Sie zerrten nun jede an einem anderen Ende der Maus
und zerfetzten die um ihr Leben fiepende, pfeifende, quietschende Maus mit lautem Miauen und Fau-
chen in der Luft. So manche Maus kam auch zusammen mit der Korngarbe, in der sie ihren Bau mit
ihren Jungen angelegt hatte, in das große Loch der Dreschmaschine, wo sie von den schweren Schlag-
balken, die dasKornausdenÄhrenschlugen, getroffenodervondem sich drehenden Holzbalken blutig
zerquetscht wieder herausgeschleudert wurde und dem Stiefvater in Einzelteilen an Gesicht und Ober-
körper flog, so dass er nach der Arbeit schmutzig, staubig und mit Mäuseblut befleckt war.
Search WWH ::
Custom Search