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Im selben Augenblick verließen den Emmerich die Kräfte, und er sauste in schnellem Tempo, sich am
Seil festhaltend, fast fünfzehn Meter auf den Kirchplatz herunter, wo er mit hartem dumpfen Laut auf-
schlug und reglos auf dem Boden liegen blieb. Aus seinem Mund floss rötlich verfärbter Schaum und
auch aus der Nase kam blutvermischtes Sekret. An den Handinnenflächen war die Haut durch die Rei-
bung des rauen Seiles weggeschunden und aus den länglichen Striemen sickerte Blut.
Pater Gregor Bolognia nahm mich bei der Hand und drängte zur Unfallstelle, um Emmerich die Letzte
Ölung zu geben. Nachdem er das erste Gebet gesprochen hatte, nahm er das geweihte Öl, salbte Em-
merich Augen, Mund und Hände und sprach: Durch diese heilige Salbung helfe der Herr dir in seinem
Erbarmen und stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes. Dabei machte er ein Kreuzzeichen und
die gaffende Menschenmenge antwortete mit: Amen .
DerPaterfuhrfort: Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich. In seiner Gnade richte er dich auf.
Amen , sagten alle wieder.
Nach einer kurzen Weile schlägt Emmerich die Augen auf und lacht mit seinem schmalen schiefen
Mund, wischt mit dem Unterarm darüber und verschmiert den blutgefärbten Schaum davor, wobei die
oberen kleinen, auseinanderklaffenden Zähne zum Vorschein kommen, und sagt: „Kraxln, kraxln.“
Weiß gekleidete Mädchen verstreuten die Blütenblätter der Pfingstrosen
Es herrschte prächtiger Sonnenschein, als die Prozession am Fronleichnamstag die Kirche verließ. Ein
blaudurchwebter Junitag. An vier weißen Stangen, am oberen Ende je von einem goldenen Kruzifix
mit kleeblättrigen Enden gekrönt, trugen vier Feuerwehrmänner in Galauniform den golden glänzenden
Himmel aus Seide und Leinen, der den Pfarrer und die mit Rubinen, Amethysten und Smaragden be-
setzte Strahlenmonstranz mit dem Leib Christi beschirmte. Diese große Hostie, das Allerheiligste, war
innerhalbderMonstranzwiederuminihrermitEdelsteinenbesetztenovalenHalterung,derLunula,ein-
geschlossen. Der Pfarrer in seinem liturgischen Umhang, dem rot-goldenen Pluviale, das am Rückenteil
in großen goldenen Buchstaben IHS, „Jesus, Heiland, Seligmacher“, eingestickt hatte, trug die Mon-
stranz feierlich vor sich her und zeigte sie ab und zu in verschiedene Richtungen dem andächtigen Volk.
Schultern und Hände taten mir weh von dem schweren, über zwei Meter hohen schwarzen Kreuz, das
ich vor mir hertrug, zusätzlich gehalten von einem Gurt aus grobem Sackleinen, der mir über die Schul-
tern hing. Unter dem weißen, dünnen Chorkleid hatte ich meinen roten Ministrantenrock an, darüber
einen breiten roten Kragen. Auf den Schultern hatte ich bereits breite rote Striemen, und die Handballen
waren von den langen Stunden des Kreuztragens während des Umzugs wund. Meine Freunde Franz und
Max hatten es da leichter. Franz trug den Weihrauchkessel, den er dem Pfarrer bei jedem Altar reichte.
Nachdem er den Weihrauchkessel geschwungen hatte, den Franz, Max und ich vor Ostern in der Para-
mentenkammermitvielAndachtaufHochglanzgeputzthatten,nahmPaterGregorBologniadenAsper-
gill, die silberne Kugel mit den vielen Löchern und dem silbernen Stiel, und segnete die Altäre und die
Gläubigen, indem er das Weihwasser versprengte. Und Max hielt ein Messingtablett, auf dem zwei klei-
ne Glaskrüge standen, die mit Wasser und Wein, dem Blut Christi, gefüllt waren. Max und ich hatten
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