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Die Messe war zu Ende, zum Auszug stellten sich die Ministranten in Zweierreihen auf, dann kam der
Pfarrer und zuletzt noch, mit der langen Stange, auf der oben der Kerzenlöscher draufgesteckt war, der
krumm und gebückt gehende Messner, für den ich manchmal die Abendglocken läuten musste, wenn er
zu betrunken dazu war. Die Orgel, von Herrn Molder gespielt, brauste noch einmal auf und verstummte
erst, als Pater Gregor Bolognia und sein ganzes sakrales Gefolge in der Sakristei verschwunden waren.
Nach Verlassen der Kirche gingen Max und ich, wie so oft, zur Ravelsbachbrücke, unter der ich an mei-
nem Weißen Sonntag wie der goldene Petrus auf dem Hochaltar mit der Hand hatte Fische fangen wol-
len, und wir redeten darüber, was wir mit dem Geld machen wollten, das wir von den Bauern für die
Palmkätzchenbuschen bekommen würden, die wir jetzt in ihre Häuser brachten, damit sie sich die ge-
weihten Zweige hinter die Kruzifixe und über die Türpfosten steckten. Wir trugen unsere neuen blauen
Sonntagsanzüge, und so konnten wir uns nicht wie sonst auf die Steine am Uferrand setzen. Daher lehn-
ten wir uns in die Mitte an die gusseisernen Geländerstangen der Brücke.
Links und rechts wurde das Brückengeländer von zwei kurzen eisernen Säulen mit verschiedenen Orna-
mentverzierungen gehalten, die am oberen Ende in ein kreiselähnliches Rund übergingen, auf dem ein
großer Fichtenzapfen aus Gusseisen saß, an dem noch kleine Reste von Goldfarbe hafteten. An das Ge-
länder gelehnt, schauten wir auf das fließende, leise und monoton plätschernde, grünlich schimmernde
Wasser hinab, auf das die Lichtbrechung der Sonnenstrahlen kleine, aufblitzende Sterne zauberte. Ab
und zu flog ein Taubenpärchen vom Kirchturm herunter und setzte sich gurrend ans Bachufer. Trinkend
pickten die Tauben ins Wasser oder versuchten sich gegenseitig herumliegende Körner und die frischen
Triebe der Gräser wegzuschnappen. Als wir unsere Pläne und Träume von Geld und Neuerwerbungen
untereinander ausgetauscht hatten, gingen Max und ich noch zusammen bis zur Kreuzung beim Fried-
hof, wo es so oft schlimme Unfälle gab. Dort verabschiedeten wir uns, und jeder lief in seine Richtung
davon, er nach links ins nächste Dorf Minichhofen, wo er wohnte, und ich nach rechts in mein Hundert-
seelendorf.
UmhalbzwölfUhrmittagsbegannichschließlich,inunseremlanggestrecktenDorfdiedreihundertMe-
ter lange Dorfstraße von Haus zu Haus zu gehen, um den katholischen Bauern meine geweihten Palm-
kätzchen zu bringen und dafür hoffentlich etwas Geld zu bekommen. Doch weil ich mit Max noch auf
der Ravelsbachbrücke gestanden und geplaudert hatte, waren die anderen Buben des Dorfes bereits vor
mir an den Häusern gewesen und hatten ihre Palmkätzchen, die ja eigentlich Weidenkätzchen waren,
schon in die Bauernstuben gebracht. Meine langen, flauschigen Kätzchensträuße, die der Stiefvater be-
sonders schön gebunden hatte, wobei er ausnahmsweise einmal gut mit mir war und nett und freundlich
redete, landeten daher nicht in den Wohnstuben, sondern in den Ställen der Kühe, Ochsen, Pferde und
Ziegen.VielleichtaberhatteunserHerrgottjageradedasfürmichsogedacht.EinigesanGeldjedenfalls
bekam ich trotzdem.
Voll von gesegneter Freude kam ich nach Hause, hatte alle Zweige in den Ställen der Tiere auf die Tür-
simse und zwischen Balken gesteckt, und nun legte ich die dafür erhaltenen Schillinge auf den weißen
Küchentisch mit der grün gesprenkelten Resopalplatte. Als mein Stiefvater das Geld sah, nahm er mir
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