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ausstrahlte, sowie einem gönnerhaften Grinsen auf den Lippen. Dabei zog er seine leicht nach innen ge-
wölbte Stirn in Falten, die durch seinen tiefen Haaransatz sehr schmal wirkte - die Engstirnigkeit stand
ihmalsobuchstäblichinsGesichtgeschrieben -,undsagteimmerwieder,dassniemandsoschönePalm-
buschenhabenwerdewieich.Nachdemerdieinsgesamt zwanzigKätzchensträuße gebundenhatte,leg-
te er sie alle auf einen Haufen, band sie am unteren Ende mit rotem Seidenband zusammen, und um den
oberenTeildesBuschenswickelteereinviolettesSeidenband.RotundViolettsolltendiebeidenFarben
sein, die der Pfarrer bei der Weihe der Palmkätzchen trug.
Bei diesen Arbeiten musste ich dem Stiefvater zur Hand gehen, wobei ich penibel und ängstlich darauf
achtete, keinen Fehler zu machen. Tatsächlich blieben mir nennenswerte Missgeschicke erspart, es war
die einzige Zeit, in der wir etwas zusammen machten, ohne dass er mich mit Verachtung und Beschimp-
fung strafte. Während der beinahe sakralen Arbeit des Bindens dachte ich daran, wie Jesus eine Woche
vor Ostern in Jerusalem eingezogen ist, ihm das ganze Volk mit Palmwedeln huldigte und ihm auf dem
Boden, über den er mit seinem Esel ritt, ein grüner Teppich ausgebreitet wurde; und im Wissen, dass er
fünf Tage später ans Kreuz genagelt wurde und für uns gestorben ist, überkam mich eine ganz feierliche
Traurigkeit.
Am nächsten Tag bei der Palmsonntagsmesse in der Kirche stand Max neben mir und hatte einen ganz
armseligen Buschen mit nur fünfzehn Palmkätzchen in der Hand. Es war der letzte Palmkätzchenbu-
schen, den noch sein älterer Bruder Hannes für ihn gebunden hatte, ehe er mit dem Strick, der seinem
Vater beim Schlachten zum Festbinden der Schweine diente, auf den Dachboden ging und sich erhäng-
te. Vielleicht wusste er schon während des Palmkätzchenbindens, dass er bald nicht mehr leben würde.
SelbstmördersindinihrenletztenTätigkeitenoftmalssehrgenau,weilsiewollen,dassdieMitmenschen
um sie trauern, sie vermissen und nur Gutes über sie sagen. Max' älterer Bruder jedoch wollte offenbar
einen anderen Eindruck hinterlassen, vielleicht einen Eindruck von Ausweglosigkeit und Verzweiflung,
und so hatte er nur diesen armseligen Buschen mit den fünfzehn Palmkätzchen gebunden. Max tat mir
leid, und so gab ich ihm ein paar von meinen zwanzig Kätzchensträußen ab.
Eine ganze Stunde lang standen wir während des Gottesdienstes vor der ersten Reihe der Kirchenbänke,
dann schließlich bekamen wir die Segnung und Weihe für unsere Palmkätzchenbuschen, um sie nun
in die Häuser zu bringen, damit sie die Bewohner vor Unwetter und allen Gefahren bewahren und als
göttlich-heiliger Schutz dienen sollten. Zum Schluss der feierlichen Zeremonie stellte sich der Pfarrer
GregorBologniaindieMittedesHauptaltars,versuchteseinevonderParkinson-Krankheitzitterndelin-
ke Hand mit der rechten vor seinem liturgischen Gewand zu falten - der mit Goldbordüren eingefassten
Kasel in der Büßerfarbe Violett, auf der in der Mitte noch ein großes goldenes Kreuz prangte -, schaute
zuerst zur gläubigen Gemeinde hinab, dann zum Himmel empor und sprach mit erregter, ehrfurchtsvol-
ler, leicht zittriger Stimme:
Wir rühmen, preisen und ehren dich, Herr Jesus,
Unser Erlöser und König,
Einst rief das Volk jubelnd Hosianna dir zu.
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