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Sie hatte ein weißes Kopftuch aufgesetzt und sich über ihr braunes Kleid noch eine weiße Schürze ge-
bunden.InihremGesichtwarMehlstaubunddieWimpernundBrauenwarenweißbezuckert.Beidieser
Arbeit half ich gerne. Da fühlte ich mich mit meiner Mutter so gut - so wie selten. Wenn sie dann die
knusprig braun gebackenen Brotlaibe aus dem Ofen zog, sie kurz abkühlen ließ und schließlich, nach-
dem sie ihn dreimal mit der Spitze des alten Küchenmessers bekreuzigt hatte, den ersten duftenden Laib
anschnitt, genossen wir beide beim Hineinbeißen in die noch warme, hellbraune, mehlbestäubte Kruste
zufriedene, glückliche Momente.
Neben dem Brotbackofen befand sich das schwarze Befeuerungsloch der kleinen Selch. Nach dem
Schlachten und Zerlegen des Schweins wurden darin die Schinkenstücke geräuchert. An das Schweine-
schlachten kann ich mich noch gut erinnern. Um fünf Uhr früh hörte ich das Schwein schon grunzen.
Der Bruder meines Stiefvaters, der Onkel Quirin, kam mit seiner andauernd in hohen Tönen kreischen-
den Frau Maria zur Hilfe. Zehn Minuten später riss mich lautes Schweinegeschrei endgültig aus dem
Bett. Ohne Schuhe und Strümpfe lief ich in den Hof. Das Schwein lag im Trog, und Stiefvater setzte
dem Schwein soeben das Messer an den Hals und stach zu. Gellendes, ohrenbetäubendes, schreckliches
Quieken. Mutter saß daneben, fing mit einer Blechschüssel das Blut auf und rührte es ganz schnell mit
der Hand immer im Kreis, damit es nicht stockte, wie sie sagte. Aus einem Holzfass wurde eine spe-
zielle Salzmischung über das tote Schwein gestreut, dann kochend heißes Wasser darübergegossen und
daraufhin legten die Männer Eisenketten unter das tote Tier, die sie hin und her, auf und nieder zogen,
um die Borsten abzuschaben, die nun büschelweise, grau, nass, salzig, glitschig, aus dem Trog auf den
Boden herabfielen.
Der Stiefvater hängte das tote Schwein mit beiden Hinterfüßen an spitze Haken, die an einem zwischen
zwei Stehleitern quergelegten Holzpfosten angebracht waren. Mit einem vorne angerosteten Eisenhaken
zogerdenSchweinsfüßendieKlauenab,sodassausdenbeidenSpreizzehenkleineBlutrinnsalesicker-
ten. Danach nahm er ein großes Beil, hackte den Bauch auf, und die mit Schweinekot gefüllten Därme
kullerten platschend auf den glitschigen Boden.
Abends waren er und sein Bruder betrunken. Die Mutter hatte, wie immer, traurige Augen.
Bald nach dem Schlachten schnitt Stiefvater verschiedene Fleischstücke zurecht, pökelte sie und hängte
die Stücke auf dem Dachboden auf. Dann wurde ganz unten in dem schwarzen Befeuerungsloch der
Selch ein kleines Feuer gemacht, der Rauch stieg langsam nach oben und ließ die Fleischstücke nach
und nach zu Schinken werden. Wir Kinder, also meine Schwester und ich, wurden mit der Befeuerung
des Ofens beauftragt.
Einmal hatten wir zu große Holzscheite nachgelegt, so dass die Flamme zu groß wurde, zu weit nach
oben in den Rauchfang züngelte und das Fleisch zum Teil verbrannte. Der Stiefvater zerrte uns mit wut-
entbrannten Augen, die stechend unter seinen buschigen Brauen herausfunkelten, auf den Dachboden,
zeigteunsdieverbranntenFleischstückeundschlugausWutmitdenheißenSchinkenaufunsereKöpfe,
die Brust und den ganzen Leib. Weinend, mit fettigen Kleidern, fettigen Haaren und rußverschmierten
Gesichtern, stiegen wir die steile, ausgetretene Leiter nach unten. Alles tat weh, Körper, Kopf und See-
le. Meine zwei Jahre ältere Schwester sagte, während sie sich mit dem fetten, schmutzigen Ärmel die
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