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Die Eisenbahnen auf der rechten, den Buben zugedachten Seite fuhren unentwegt im Kreis, durch Tun-
nel hindurch und über Brücken hinüber, und vorbei an einem beleuchteten Bahnhof, vor dem ein Bahn-
hofsvorstand wartete, der mit seiner roten Tellerkappe auf dem Kopf und den goldenen Knöpfen an der
dunkelblauen Uniformjacke genauso aussah wie der Bahnhofsvorstand in Ziersdorf, vor dem ich mich
vor meiner ersten Bahnfahrt mit meiner Mutter nach Gmünd so gefürchtet hatte. Eine grüne Kelle in der
rechten und eine Trillerpfeife in der linken Hand, fertigte er den Zug für die Weiterfahrt ab. Es war für
mich faszinierend zuzusehen, wie die großen roten Treibräder der schwarzen Lokomotive die größeren
und kleineren Laufräder mit ihren Kuppelstangen pulsierend im gleichbleibenden Rhythmus in Bewe-
gung hielten.
Diese Tage in Krems habe ich als sehr glückliche Tage empfunden. Damals konnte ich natürlich noch
nicht ahnen, dass dem Aufenthalt bei Tante Mitzi lange Jahre später viele weitere glückliche Kremser
Tage folgen sollten - als ich, dem Hundertseelendorf meiner Kindheit endlich entronnen, im Hotel zur
alten Post in dieser schönen Stadt in die Lehre ging.
Immer wenn der Greißler Knötler einkaufen fahren wollte
Das Motorrad vom Greißler Knötler, eine alte rote Zündapp, sprang nie an. Mochte er auch noch so
lange und immer wieder auf den Kickstarter treten, es klappte nicht. Für mich und den nahebei wohnen-
den Huberka-Franz galt es, bereitzustehen und anzuschieben, bis der Funke übersprang und der Motor
ratternd in Fahrt kam und eine stinkende Rauchwolke ausspie. Unter ruckartigen Schüben, den Ruck-
sack über den Schultern und eine alte Fliegerhaube mit eingearbeiteter Brille auf dem Kopf, knatterte
Herr Knötler mit nach links und rechts wegflatterndem Mantel die Dorfstraße entlang, unterwegs zum
Fleischhauer Speidler nach Ziersdorf, um dort die erforderlichen Wurst- und Schinkenwaren für die
kommenden Tage zu erstehen, die er den Dorfbewohnern dann zehndekaweise weiterverkaufte.
Waren unsere Bemühungen schließlich von Erfolg gekrönt gewesen, so wartete, im weißen Kittel und
eine ebenso weiße, rundherum mit Rüschen benähte Haube auf dem Kopf, schon Wilhelmine auf uns,
die Frau des Greißlers, mit ein paar Zuckerln in der Hand, als Lohn für unsere Anschiebdienste. Diese
Prozedur wiederholte sich ein- bis zweimal wöchentlich. Für mich war es von Vorteil, gleich gegenüber
vomkleinenGreißlerladenzuwohnen,dennsohatteichdieMöglichkeit,frühzeitigHerrnKnötlersVor-
bereitungen fürdieAusfahrt zubeobachten, umdannimrichtigen Moment bereitzustehen undhinterher
den heiß ersehnten süßen Lohn zu bekommen. Ab und zu versuchte Wilhelmine Knötler, die der Greiß-
ler zärtlich Weiwi nannte, allerdings, den Anschiebelohn zu „vergessen“. Somit war ich es mir schuldig,
siezuerziehen, indemichmichbeimnächsten Malebennichtzeigte undsieerstwartenunddannbitten
ließ, doch ihrem Mann zu helfen.
Nachmittags oder am frühen Abend kamen die Bauern mit ihren hoch beladenen Fuhrwerken vom Feld,
machten gegenüber beim Greißler Knötler Halt, der auch einen kleinen Gastraum zur Bewirtung der ge-
legentlichen Gäste hatte, und ließen sich und den Arbeitern, die oben auf dem Heuwagen saßen, Bier
bringen. Es kam in kugelförmigen Gläsern mit dem grünen Etikett von Hubertus Bräu, auf dem ein
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