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In der Zwischenzeit hatte sich seine Freundin, die sich damals auf dem Volksfest mit den Ellbogen aus
der Menschenmenge gekämpft und ihn flennend umarmt und umklammert hatte, bis er aufschrie, einen
anderen, nicht entstellten Liebhaber gesucht und ihn auch gefunden.
Erdäpfelpüree mit und ohne gebratene Wurstscheiben
An einem kalten Oktobermorgen etwa um vier Uhr früh weckte mich meine Mutter mit sanftem Rütteln
und sagte: „Rudi, aufstehen, wir fahren in einer halben Stunde nach Krems zur Tante Mitzi.“ Ich war
damals noch ein kleiner Junge und noch nicht in der Schule. An gewöhnlichen Tagen brauchte ich eine
Stunde, um mich anzuziehen, heute war ich in zehn Minuten fertig. Das Gesicht im Lavoir, der Wasch-
schüssel nebenderKohlenkiste inderKüche,mit kaltem Wasserkurzwaschen, nochZähne putzen, und
fertig war ich. Auf die Fahrt zu Tante Mitzi hatte ich mich schon Tage zuvor gefreut.
AusdemStallhörteichbereitsdasKlirrendesPferdegeschirrs,mitdemmeinStiefvater diebeidenHaf-
linger zäumte. Dannführteersiezumgrüngestrichenen Truhenwagen, aufdessenrechte Außenwander
einige Tage zuvor unter Anleitung meiner Mutter mit großen weißen Buchstaben seinen Namen gemalt
hatte, und spannte die Pferde links und rechts vor den Wagen. Der kleine hölzerne Wagen war mit Sä-
cken beladen, die für Tante Mitzi gedacht und mit Erdäpfeln, Rüben und Gemüse gefüllt waren. Dazu
kamen noch eine Kiste mit sechs Flaschen Wein und ein Holzbottich Schweineschmalz. Neben die Sä-
cke breitete meine Mutter Decken, auf die meine Schwester und ich uns legten, dann deckte sie uns mit
einer weiteren Decke zu. „So“, sagte meine Mutter, „da könnt ihr weiterschlafen.“ Sie und mein Stief-
vater setzten sich vorne auf den Kutschbock, der Stiefvater rückte noch seine Mütze zurecht, die er nur
zu besonderen Anlässen, wie etwa seinem Gang ins Gefängnis, auf dem Kopf hatte, und wir fuhren los.
DiedreißigKilometerlangeFahrtsolltebisgegenMittagdauern.MeineMuttermussteimmerdieRich-
tung ansagen, weil der Stiefvater ja Analphabet war und daher die Namen der Dörfer und Städte auf
den Hinweisschildern und Ortstafeln nicht lesen konnte. Ansonsten sprachen sie während der ganzen
Fahrtkaummiteinander.StiefvatergabnurinregelmäßigenAbständenein„Hü“,„Hott“oder„Brrr“von
sich oder redete auch richtig mit den Pferden, immer in einem wohlwollenden, freundlichen Ton: „Brav,
geht's nur schön weiter, brav.“ Wenn ich ihn so mit den Pferden sprechen hörte, dachte ich mir: Warum
redet er nicht auch mit mir so gut, warum empfindet er für mich nicht die gleiche Güte und Freundlich-
keit wie für die beiden kleinen, gedrungenen Haflingerpferde?
Ort um Ort zog an uns vorbei, stundenlang. Die Bauern waren schon auf den Feldern und ernteten Er-
däpfel und Rüben. An diesem kalten Oktobermorgen hatten sie ihre gut gefütterten Wämser mit zwei
übereinandergeschlagenen Knopfreihen angezogen und trugen warme Mützen mit kleinen Stofflappen
anbeidenSeiten,diesieüberdieOhrenstülpten.Inzwischenwareshellgeworden.MeineMutterfragte
ab und zu, ob wir Hunger hätten, und gab jedem eines der Schmalzbrote, die sie zu Hause noch schnell
geschmiert und als Wegzehrung eingepackt hatte. Als eiserne Reserve hatte sie auch immer noch einen
Apfel oder eine Birne in der Tasche. So war sie: Sie dachte an alles - und immer an uns. Wenn sie den
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