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strafenswürdiges Vergehen begangen hatten, so lange mit der Weidenrute die Hände und Finger von mir
und meinen Mitschülern schlug, bis die Striemen platzten und die Wunden bluteten.
Unvergesslich ist mir ein Volksfest mit Vroni in Ziersdorf geblieben. So ein Volksfest war immer etwas
AußergewöhnlichesundeinewillkommeneAbwechslungfürdieBewohnerallderkleinenDörferrings-
um. Eine riesige Menschenmenge aus Bauern, Kaufleuten und Beamten jeden Alters versammelte sich
da, aus Kindern, Frauen, Burschen und Mädchen, die aus den Ortschaften der Umgebung zusammen-
strömten. Zur Belustigung boten die Schausteller allerlei Fahrgeschäfte an, wie Schiffschaukeln und
Ringelspiel, auch Kettenkarussell genannt. Das Fest dauerte drei Tage und stets bis weit in die Nacht.
Die Wein- und Bierbuden animierten die jungen Burschen und Mädchen zum Trinken. Bei all den schö-
nenDingenkamdieLiebenichtzukurz,undneunMonatespäterwurdesomanchesunerwünschteKind
geboren, oft mit geistiger Behinderung. Neuer Redestoff für die Bänke vorm Haus in den kleinen Dör-
fern.
Vroni und eine ihrer Freundinnen hatten mich mitgenommen. Ein vier Kilometer langer Fußmarsch war
zubewältigen.AufdiesemFestgabesaucheineTombola.EswurdenLoseverteiltunddieGewinnnum-
mern nach und nach aufgerufen oder angeschrieben. Auch Vroni hatte unter ihren Losen einen Gewin-
ner und bekam einen Gutschein, der den Erhalt von fünf Stanitzeln Eis - also Eistüten beziehungsweise
Waffeln - aus der nahe gelegenen Gelateria beinhaltete. Das war für mich ganz was Wunderbares. Eis
war eine seltene Delikatesse. Bisher hatte ich Eis nur einmal im Jahr, beim Gettsdorfer Kiritag, einem
anderen Volksfest, bekommen. Dieses Eis hatte ich mir mit einem Teil der zehn Schillinge gekauft, die
ich, ebenfalls einmal im Jahr, von meiner Mutter bekam. Taschengeld für ein ganzes Jahr.
Ein zusätzliches Taschengeld hatte ich mir von meinen Botengängen für Frau Seibinger erhofft. Frau
Seibinger, die ich auch viele Male zu ihrem Weinkeller begleitet habe, der als der letzte außerhalb des
Dorfes lag, gab mir jeden Sonntag zehn Schilling, die allerdings natürlich nicht für mich bestimmt wa-
ren, sondern die ich vor meinem Kirchgang im Gettsdorfer Gemeindehaus auf ihr Sparbuch einzahlte.
Am Ende des Jahres bekam die Seibingerin dann 520 Schilling plus Zinsen ausbezahlt, die sie auf ihre
vier Kinder verteilte. Und ich bekam für meine sonntäglichen Botendienste am Auszahlungstag zehn
Schilling als Jahreslohn, die ich sorgsam aufbewahrte, um am nächsten Kirchtag etwas mehr zu haben.
Darauf freute ich mich das ganze Jahr. Statt nur die zehn Schilling von meiner Mutter hätte ich nun das
Doppelte. Doch da meine Mutter wusste, dass ich von Frau Seibinger zehn Schilling bekommen hatte,
verkündete sie mir nun, mir diesmal keine zehn Schilling, wie sonst, zu geben; ich hätte ja schon zehn.
Ihre arg bedrängte finanzielle Situation konnte ich zwar verstehen, aber traurig war ich trotzdem. Fühlte
mich für eine kleine Weile regelrecht betrogen. Doch nun hatte ja Vroni ihr Gewinnlos gezogen und ich
bekam Eis noch vor dem heiß ersehnten Kiritag in Gettsdorf.
Wir waren zu dritt und hatten fünf Eis, es war also reichlich vorhanden, und so ließ mich Vroni auch
noch eine zweite Tüte nehmen. Doch bald musste ich feststellen, dass auch die seltenste Köstlichkeit zu
vielwerdenkann,wennessieplötzlichimÜberflussgibt.AlssichbeimirnunallmählichSättigungein-
stellte, wollte ich Vroni meine Dankbarkeit erweisen und bot ihr an, auch einmal an meinem schon zur
Hälfte abgelutschten Eis zu lecken, woraufhin sie etwas erstaunt schaute und mich dann belehrte, dass
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