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putzten Lederstiefel. Mit der rechten nahm er andeutungsweise seine karierte Kappe vom Kopf, bevor
erdannmitdemmeisteingeschüchterten BauernindenSchweinestall gingundsichdieSauzeigenließ.
Während er das Tier eingehend musterte, strich er sich über seinen grauen, kurz gestutzten Oberlippen-
bart und meinte: „Zwei Monate noch, dann hole ich sie.“ Gab dem Bauern die Hand, womit er praktisch
bereits den Kaufvertrag besiegelte, und verschwand, „Haben wir was?“, schon wieder ins nächste Haus.
An manchen Samstagen nach der Erntezeit, während die Mägde und Mädchen mit ihren aus Reisig ge-
bundenen Riadlbesen fein säuberlich die lehmig-erdigen Trottoirs kehrten, fuhren die wohlhabenderen
BauernausdenumliegendenOrtschaftenmitihrenTraktorendurchdenOrt,umamHollabrunnerVolks-
fest teilzunehmen. Über den riesigen Kotflügeln links und rechts saßen auf den angeschraubten hölzer-
nen Sitzen Frauen in Sonntagskleidern mit festgebundenen, bunten Kopftüchern. In unserem Hundert-
seelendorfjedochgabesnureinenTraktor -denTraktorderPeterkasinihremgroßen,neuenWohnhaus
neben dem knötlerschen Greißlerladen -, was zusätzlich dafür sorgte, dass über Dorfstraße und Keller-
gasse meist Totenstille lag.
Jeder Hof im Dorf hatte auf der gegenüberliegenden Seite der Kellergasse seinen Weinkeller. Die Keller
waren dort, an der rechten Gassenseite, aufgefädelt wie die Perlen eines Rosenkranzes. Die kleinen Kel-
lerhäuschen, in denen Treppen in die eigentlichen Kellergewölbe darunter hinabführten, ähnelten mit
ihrenabgerundetenSpitzdächerneinwenigdenTrulli,denRundhäusernimitalienischenApulien.Meist
weißgetüncht undmitgrünenoderbraunenEingangstüren versehen,nebendenenlinksoderrechtsoder
beidseitig ein kleines Fenster hervorlugte, erinnerten sie an große, freundliche Gesichter. Von diesen
kleinen Kellerhäuschen führte oftmals auch ein Weg zu den angrenzenden Äckern und Weingärten. Die
HäuserimunterenBereichdesDorfeshattenihreWein-undKartoffelkellerweitdraußen,außerhalbdes
Dorfes, und der letzte war der von Frau Seibinger, mit der ich viele Male diesen Weg gegangen bin.
Der Wein war eine der wichtigsten Einnahmequellen der Bauern. Im Sommer kam noch das Getreide
dazu. Ein einziges heftiges Gewitter mit Hagel konnte, was oft passierte, die gesamte Ernte zerschlagen
und die erhofften und überlebenswichtigen Einnahmen eines ganzen Jahres vernichten. Die wenigsten
Bauern hatten hierfür eine der teuren Versicherungen abgeschlossen. Im Laufe der fünfziger Jahre brei-
tetensichnundieRaiffeisengenossenschaftenaus,diedenBauerndieAblieferungunddenVerkaufihrer
landwirtschaftlichen Produkte - wie Erdäpfel, Rüben, Getreide und eben Weintrauben und Wein - sehr
viel leichter machten und sie vor den unseriösen Machenschaften der damaligen Großhändler schützten.
Am anderen Ende des Dorfes führte der Weg zu den Weingärten am Hüterberg, der etwa dreihundert
MetervonunseremWohnhausentferntlag.ManmusstevonderHauptstraßenachlinksunddannwieder
nach links in den Raingraben abbiegen und dann ging es ungefähr fünfzig Meter bergauf. Der Weingar-
ten selbst war ein steiles Grundstück, das mein Stiefvater von der Gemeinde gepachtet hatte. Wenn die
Ernte nicht gut war, musste er die Pacht von dem Geld bezahlen, das mein leiblicher Vater, den ich nie
kennengelernt habe, als „Kostgeld“ für mich an meine Mutter zahlte. Auch sonst lebten wir im Grunde
fast immer von diesem Geld, das meine Mutter für mich erhielt. Eigentlich war es allein für meine Be-
dürfnissegedacht,fürmeinWohlergehen.DochnunmussteesdieganzeFamiliemehrschlechtalsrecht
ernähren.
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