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Wohnhaus der Peterkas und links daneben die verwahrloste Klitsche der Schicklers. Dort, auf der an-
deren, linken Seite der Straße, führte „hintaus“, also hinter der Dorfstraße parallel zur Hinterfront der
dortigen Häuser, Scheunen und Ställe, noch ein zweites Gässchen entlang, die Kellergasse.
Die Dorfstraße und die Kellergasse waren die beiden einzigen Straßen im Dorf, und zumeist lag eine
lastende,bedrückende,jahoffnungsloseStilleüberihnen.LediglichdasGeschreiundGeplärrederalten
Schicklerin, wenn sie mit ihrem beinlos in der Ausnahmekammer siechenden Mann und ihrem Sohn,
dem dumpfen Ferdl, keifte und brüllte, war beinahe tagtäglich von frühmorgens bis spätabends zu ver-
nehmen. Zwischendurch hörte man auch aus dem Haus direkt neben dem unseren Gepolter und laute
Wortwechsel, danach leises Wimmern, Jammern und Weinen, bis sich erneut Totenstille über die Dorf-
straße legte. Dort, im Haus direkt neben uns, wohnte noch die betrogene Ehefrau bei ihrem Mann, dem
Leopold, bis sie dann eines Tages ihre paar Sachen und ihren Sohn packte und drei Ortschaften weiter
zog.
ManchmalwurdedieüberdemDorflastendeStilleauchvoneinemratterndenOchsengespannunterbro-
chen, mit Rüben oder Erdäpfeln beladen und gezogen von zwei braun gefleckten Ochsen, neben denen
der Bauer träge dahintrottete. Oder der Greißler Knötler fuhr knatternd auf seinem alten Zündapp-Mo-
torrad, das ohne die Hilfe von uns Dorfbuben meist nicht zum Anspringen zu bewegen war, zu Einkäu-
fen nach Ziersdorf. Etwa alle zwei Monate kam außerdem das alte, verrostete Auto der vazierenden ru-
mänischen, bulgarischen oder kroatischen Zigeuner mit ihren sonderbaren bunten Kleidern in das Dorf
und hielt oben am Ortseingang. Da kam Leben in das Dorf und hastig trugen die Leute sofort alle Hab-
seligkeiten ins Haus, schlossen knallend Türen und Fenster.
UndwennwiederjemandausdemDorfgestorbenwar,nahmderTotengräberRadlinger,derseinWohn-
haus neben dem Bieringerhaus am oberen Ortsende hatte, seinen Leiterwagen, legte ihn mit einem
schwarzenSamttuchaus,bandschwarzeMoirébänderanallevierEcken,steckteeinlangstieligesKreuz
auf das Sitzbrett, wofür er eigens ein Loch gebohrt hatte, und fuhr mit dem Sarg von oben in die Keller-
gasse hinein bis in das untere Dorf, wo er schließlich nach rechts abbog und die Dorfstraße wieder zu-
rückrollte - ehe dann, am Tag darauf, der oder die Verstorbene nach Gettsdorf zum Friedhof gebracht
wurde. Während die Toten dergestalt ihre letzte Ehrenrunde durch das Dorf zogen, schauten die alten,
schwachen, kränkelnden Frauen und Männer, die zu alt, schwach und kränkelnd waren, um noch auf
dem Feld arbeiten zu können, aus dem Fenster oder kamen, wenn sie immerhin dazu noch rüstig genug
waren, aus dem Haus heraus, machten ein Kreuzzeichen, nahmen den stets bereitliegenden Rosenkranz
in die Hand und beteten, so lange der Wagen in Sicht war. Bei jeder nächsten Runde des Totengräbers
RadlingerfehltedannwiederdieeineoderderandereanFensteroderTürundfuhraufdemLeiterwagen
mit.
Am Abend, wenn die Bauern vom Feld zurück waren, kam regelmäßig aus Ziersdorf der Fleischhauer
Speidler mit seinem chromblitzenden neuen Borgward-Auto, stellte es neben dem Laden vom Greißler
Knötler ab und ging von Haus zu Haus mit der Frage: „Haben wir was?“, womit er wissen wollte, ob
denn wieder eine Sau zu verkaufen sei. Dabei schnalzte er wie ein Gutsbesitzer mit einer Gerte, die er
immer in der linken Hand hatte, gegen seine Knickerbockerhose und gegen den Schaft seiner blank ge-
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