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„Trulli“ lieblich entgegenschauen. Das Greißlergeschäft Knötler ist seit langem geschlossen, doch die
alte rote Zündapp steht, an die abgebröckelte Mauer gelehnt, verrostet und durchlöchert noch immer in
der Hauseinfahrt. Nun wird sie endgültig nicht mehr wieder anspringen.
Erinnere mich ans Tempelhüpfen, meine kobaltblauen Glasscherben auf der Hand, mit Franz, Mitzi und
der Schickler-Gerti, die dann keine Lust mehr hatte und lieber beim Gugelhupfbacken naschen und
schlecken wollte, denke an Max, mit dem ich so oft von der Brücke auf den Ravelsbach geschaut und
so viele Pläne gemacht habe. Erinnere mich an unsere Sünde im Glockenturm, für die ich mich immer
noch schäme, und an seinen Bruder Hannes, der sich mit dem blutbefleckten Schweinestrick auf dem
Dachboden erhängte. Im vergangenen Jahr ist nun auch Max verstorben. In der Kellergasse gehe ich am
Haus der Schwester von Frau Millinger vorbei, verheiratete Edlinger, der Großmutter von Emma, mei-
ner ersten Liebe, schaue beim alten Griebinger ins Fenster hinein, hinter dem noch immer ein Leimband
hängt, übervoll mit schwarzen toten Fliegen, und dabei ist mir, als würde mich ein leichter Hauch von
Moder und Pfeifentabak umfächeln, aber der alte, zuletzt sieche Griebinger ist nicht mehr da.
Der langgestreckte und gekrümmte Weg bis zum letzten Keller weit draußen außerhalb des Dorfes, dem
Keller von Frau Seibinger, ist mir zu weit. Ich höre ihr spöttisches „Rudl-Hudl“ und ärgere mich nicht
mehr, lächle nur etwas traurig und würde gerne wissen, ob der alte Volksempfänger, in dem der „böse
Mann“ wohnte, noch auf der lindgrün gestrichenen Konsole an der Wand steht. Auf der rechten Seite
ist das Haus vom früh verstorbenen Bürgermeister Eisenberger, der sich kurz vor seinem Tod noch mit
letzter Kraft in den Keller schleppte, um den neuen Heurigen zu verkosten, darauf im Keller verstarb
und eine trauernde Witwe sowie einen sechsjährigen, flachsblond gescheitelten Sohn hinterließ. Was ist
wohl aus dem Jungen geworden? An der Straßenbiegung nach Gettsdorf ist das Marterl in der kleinen
WegkapellenebenderSchmidaumgedrehtworden -derAltarmitderPietàistjetztaufderanderenSei-
te. Warum?
Die barocke Valentinskirche in Gettsdorf ist verschlossen. Kunstdiebe haben es nötig gemacht. Verdor-
bene, schlechte Welt. Ich sehe noch immer den mongoloiden lebensfrohen Emmerich mit seinem flach-
runden, tellerartigen Gesicht vor mir, wie er am Seil vom Balken am obersten Kirchenfenster fast fünf-
zehn Meter zu Boden saust, sowie Pfarrer Gregor Bolognia, der im Beichtstuhl von den Mädchen und
Buben eine je schwerer das Vergehen desto detailliertere Schilderung der begangenen Sünden verlang-
te - und am detailliertesten dann, wenn sie diese Sünden miteinander begangen hatten. Nun hat seine
Parkinson-Hand zu zittern aufgehört und ist mit ihm in Melk auf dem Pfarrer- und Mönchsfriedhof be-
graben. Hat ihn seine Köchin, wenn sie ihn samstags badete und ihm den Rücken wusch, geliebt?
Der Oberlehrer Gedesberger ist auch nicht mehr da. Was hat er wohl mit seiner Weidenrute gemacht,
die ihm beim Schlagen auf zarte kindliche Handinnenflächen, bis sie bluteten und aus den Augen der
Schüler trockene Tränen flossen, so viel Freude bereitete?
Von der Schule gehe ich über die kleine, unübersichtliche Kreuzung, die ich, weiter unten im Schatten
der Friedhofsmauer sitzend, immer gut hatte beobachten können und an der jetzt ein großer Spiegel an-
gebracht ist, damit nicht mehr soviele Unfälle passieren. Hinter derFriedhofsmauer liegt dasverwilder-
te Grab vom Großvater stiefväterlicherseits, dem meine Mutter, kurz nachdem Dr. Meinrath seinen Tod
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