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Inder linken Ecke der Scheune steht noch die alte Dreschmaschine mit dem großen schwarzen Schlund,
in die der Stiefvater die schweren Weizengarben steckte, die ich ihm reichte und in denen oftmals noch
junge Mäuse waren, die dann unter verzweifeltem Quietschen und Fiepen von den schnellen Umdre-
hungen der Dreschtrommel mit den Schlageisen und Schlagstiften erschlagen und zerquetscht wurden.
Dahinter, versteckt und zugedeckt, der alte kleine Benzinmotor mit nur fünf statt zehn PS, der stets nur
unter Mühen ansprang und der, als er dann endlich lief, den breiten Antriebsriemen, der die Dreschma-
schine in Bewegung setzte, herunterrutschen ließ, so dass mir dieser Riemen mit großer Wucht ins Ge-
sicht schlug und eine klaffende Wunde in meine Wange riss, woraufhin ich wiederum zu Dr. Meinrath
gebracht werden musste, der die Wunde zusammenzog und zunähte.
Ich passiere das ehemalige Sandigerhaus und noch immer überkommt mich Verwunderung, wenn ich
mich an Irma, die schielende und beinahe taube Frau des Helmuth Sandiger, zurückerinnere und an ihre
dozierenden, eher pornografischen als erotischen Berichte über den Vollzug der nächtlichen Liebesakte
imHauseSandiger,wobeisiemitihrerüberlauten Stimme immerwiederexplizit betonte,dassdiesach-
gerechte Zusammenfügung der Geschlechtsteile allein ihre Aufgabe und Zuständigkeit sei. Ich komme
sodann am schmalen, engen Haus daneben vorbei und denke mit Schaudern an die einst hier wohnende
betrogene Ehefrau mit dem Fettfleck auf dem Kleid und dem schmerzenden, blau unterlaufenen Fleck
auf der Schulter, wo sie die von ihrem Mann geworfene heiße Bratpfanne getroffen hatte, wie sie plötz-
lich weinend, die Hand auf die schmerzende Schulter gepresst, vor meiner Mutter stand, als wir das
Grießkoch für das Abendessen bereiteten.
Was spielte sich damals alles hinter den Wänden unseres langgestreckten Hundertseelendorfes ab? Und
indenHütten,Scheunen,Kellern,aufdenFeldern?WelcheGedankenundTriebewohldamalsanjenem
Erntetag den siebzehn-, achtzehnjährigen Hornberger-Hermann beherrschten? Was muss sich in seinem
Kopf bewegt haben, als er mit stotternder und zittriger Stimme zu mir sagte: „Ehe wir mit der Arbeit
beginnen, tun wir es einmal“? Was ging in ihm vor, als er mir dann mit einem Ruck die dünne schwarze
Hose vom Unterleib zog, so dass ich nackt vor ihm stand? Was hat er gedacht, als er mein angstverzerr-
tes Gesicht und mein panikerfülltes Wegrennen über die stoppeligen Felder, mein Stolpern und Fallen,
meinen blutig zerstochenen Körper sah und er mich dennoch zur Rückkehr nötigte? Später hat er gehei-
ratet und drei Kinder gezeugt. Ich habe ihm längst verziehen, der Herrgott im Himmel sicherlich auch.
Ich gehe die dreihundert Meter lange Dorfstraße entlang und stelle fest, dass die knorrig-gemütlichen,
mir so vertrauten Holzbänke, auf denen die Alten in der goldenen Abendsonne saßen und erzählten und
wo vor ihnen schon ihre Väter und Großväter gesessen und erzählt hatten, genauso verschwunden sind
wie die einst prachtvollen blühenden Gärten vor den Häusern. Ich finde sie nicht mehr; die Holzbänke
sind weg und die schönen Gärten überwuchert oder verdorrt. In Gedanken betrete ich jedes Haus, wie
ich es am Palmsonntag mit meinen Palmkätzchen getan habe, die mir der Stiefvater in einer besonderen
Stunde, als er mir einmal gut war, gebunden hatte. Halte bei der Kapelle einen Augenblick inne, neben
der die drei Buben dem blöden Adi die Holzstangen zwischen die Räder seines mit eigenen Händen neu
gebauten Fahrrades stießen, so dass er, ohne vorher noch einmal seine Rosl auf der Wiese angetroffen
zu haben, zuletzt unten im Fluss ertrank, und biege links in die Kellergasse ein, wo mir die Weinviertler
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