Travel Reference
In-Depth Information
berichtetemirVroni,alswirinderKücheamEcktischsaßen,selbstgebackene,mitPowidl -alsoPflau-
menmus - gefüllte Buchteln aßen und dazu viel zu starken Kaffee tranken, sei, so Vroni, nachdem der
Debringer-Sebastian, mit dem die Sali nach dem Tod der Debringer-Hermine in wilder Ehe gelebt hat-
te und der eigentlich Sandiger hieß, gestorben war und der Sali bei seinem Ableben zudem auch noch
einen Schuldenberg von zehntausend Schilling hinterlassen hatte, vor Kummer und Schmerz verrückt
geworden, so dass sie schließlich in die Irrenanstalt nach Steinhof eingeliefert wurde, wo sie die ersten
Tage immerfort laut „I bin a Hur, i bin a Hur“ geschrien und ihren Kopf in immer gleichem Rhythmus
gegen die weiß lackierten Eisenrohre ihres vergitterten Bettes geschlagen habe. Dazu habe sie sich die
einst rotblonden, inzwischen längst angegrauten Haare ausgerissen und sie den anderen Irren im Schlaf-
saal in die Betten geworfen, außerdem habe sie auf einige ihrer Schlafsaalgenossinnen so stark mit den
Fäusten eingedroschen, zwischendurch nun rufend: „I bin ka Hur, I bin ka Hur“, dass man die verrückt
gewordene Sali schließlich mit Lederriemen ans Bett hatte binden müssen.
Auch wenn viele der vertrauten Menschen im Dorf nun weg sind, sind die meisten der Gebäude doch
noch da. Und so spaziere ich, wenn ich Vroni besuche, nach dem Kaffeetrinken, Buchtelnessen und Er-
zählungenaustauschen, wieder gern im Garten mit dem Weinkeller, in dem der Kirschbaum stand, unter
dem ich die graue Katze Mirl hatte begraben wollen, als ich sie von meinem schweinebratenrettenden
Stiefvater erschlagen glaubte. Den Kirschbaum gibt es aber nun nicht mehr; er ist seiner späteren Be-
stimmung zugeführt worden und als klein gehackte Scheite zu Brennholz geworden, um dann in dem
alten gusseisernen Ofen in dem Zimmer mit den wunderschönen blütenartigen Eisblumen an den Fens-
terscheiben verbrannt zu werden, was dann auch die Eisblumen schmelzen und sie schmelzend langge-
zogene nachtgespensterhafte Formen annehmen ließ.
IchgeheumsHaus,indemichsovieleSchmerzenerduldet,aberauchdasschönsteWeihnachtsfestmei-
ner Kindheit erlebt habe, und denke an die vielen Bonbons und Schokoladeleckereien, die in wunder-
schönes buntes Stanniolpapier eingewickelt am Christbaum hingen, an die von meiner Mutter gebacke-
nenKekseinMondundSternenform,andensilbernenSternmitdemaufgeklebten Engelsgesicht ander
oberstenSpitzedesTannenbaumes,anmeinemittraurigenAugenängstlichblickendeundoftweinende,
wehrlose Mutter, die eben noch schnell die Schürze abgebunden hat, in der sie direkt vor der Besche-
rung die Tiere im Stall gefüttert hatte, und auch an den Stiefvater, der, wie jedes Mal, beim Vaterunser
den Text nicht gewusst und irgendetwas vor sich hin gemurmelt hat. Wo ist wohl das kleine dunkelrot
bemalte, aufziehbare Blechauto hingekommen, das nie vom Tisch fiel, weil es immer rechtzeitig vorher
an den abgestoßenen Rändern der grün gesprenkelten Resopalplatte die Richtung änderte?
Ich sehe meine Mutter auch in dem grauen Kleid mit den großen Blumen drauf und in den braunen Stö-
ckelschuhen mit dem geflochtenen Rist, die sie beide, Kleid und Schuhe, bei der Reise mit der Eisen-
bahn nach Wien zur Frau meines Vaters, den ich nie kennengelernt habe, angezogen hatte, aber für die
Fahrt mit dem Fahrrad zum Dr. Meinrath nach Ziersdorf, als er mir die Fossa cubitalis aufschnitt, zu
schade fand, so dass sie hierzu lieber das dunkelgrüne Kleid mit dem breiten schwarzen Kragen wählte.
Die Mutter, die voll von Liebe war, aber ihre Liebe nie richtig weitergeben konnte. Niemand wollte ihre
Güte annehmen, niemand verstand sie, und mir gegenüber traute sie sich nicht.
Search WWH ::




Custom Search