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dings hatte sich schon frühzeitig aus dem Staub gemacht. Er war der Sensiblere und besaß zumindest
eingewissesPotenzialanIntelligenz,daserabernichtzunutzenvermochte.Nunführtederdumpfeund
leicht beschränkte Ferdinand, meist Ferdl genannt, zusammen mit seiner Mutter und später seiner Frau
ihre verwahrloste Klitsche von Hof. Die einzige Kommunikation von Mutter und Sohn bestand darin,
sich gegenseitig mit niederträchtigen Gemeinheiten und den wüstesten Beschimpfungen anzuschreien.
Der etwa fünfunddreißigjährige abgemagerte Ferdl - debiler Gesichtsausdruck, schmale Lippen, spit-
ze, kurzrückige Nase, blasse, tote Haut, ein larvenähnliches Gesicht - war in dieser Disziplin der ein-
zige Sparringspartner der Alten; zumindest so lange, bis er seine Frau Fanny heiratete, mit der die alte
Schickler nun jemand Neues zum Anschreien und Beschimpfen gefunden hatte.
Ferdls Gehabe hatte etwas von einem Neandertaler. Beim Gang zur Sonntagsmesse endete sein krum-
mer, immer nach vorn gebeugter Körper schließlich stets im Wirtshaus. Dort war der Narr des Dorfes
gern willkommen. Die wieder und wieder hin und her verdrehten, uralten Neuigkeiten, wie sie sich die
Alten in der Abendsonne auf den Bänken erzählten, lieferten ihm und den anderen willkommenen, gut
verdaulichen Redestoff. Wirtshaustischgespräche. Sonntags war der Tag, an dem er sich rasierte und
umzog. Dann wechselte er seine graubraune, nach Schweinestall und Mist stinkende Alltagshose, die
er eng um die Unterschenkel wickelte, um sie dann in die Gummistiefel hineinzustecken, gegen seinen
einzigen Anzug. Der war grau gestreift und abgeschabt und die Hose war zu kurz, so dass zwischen den
schwarzen, bis über die Knöchel reichenden und an den Absätzen schief abgetretenen Schnürschuhen
die dünnen, kalkweißen Schienbeine etwa fünf Zentimeter weit hervortraten. Dazu zog er ein ungebü-
geltes Hemd an und band sich seine Krawatte wie einen Strick um den Hals. Statt der alten Tellerkappe,
die er jahrein, jahraus trug, ob Sommer oder Winter, setzte er sonntags einen grauen Hut auf, der an der
vorderen Krempe speckig war, und an den „Hutaugen“ - den Stellen, wo er zufasste, wenn er den Hut
zog, um einen des Weges kommenden Bauern zu grüßen - waren links und rechts fingergroße dunkle
Verfärbungen und Löcher. Das um den Hut geschlungene Ripsband war rundherum zerstochen von den
vielen Abzeichen, die er mit den daran befindlichen Nadeln am Hut befestigte. So stapfte und stackel-
te er, unentwegt laut oder leise irgendetwas Sinnloses vor sich hinmurmelnd, mit ungelenken, auf dem
Rückweg dann oft leicht torkelnden Schritten die Dorfstraße entlang.
Die Mutter hingegen, die Frau vom alten Schickler, Martha hieß sie, machte zwischen Wochentag und
SonntagkeinenUnterschied.Tagaus,tageinliefsiemitmehrerenverschiedenenumdendickenLeibge-
wickelten Kleidern, Röcken und Schürzen verwirrt umher, immer eine aufgeregte Rastlosigkeit und Un-
zufriedenheit in sich. Die fetten, schmutzig graugelben Haare bildeten ein vogelnestähnliches Gewirre,
miteinemBandzusammengehalten,dasauseinemblauen,ausgefranstenKopftuchgedrehtwordenwar.
Ihrem verwitterten Gesicht hatte die Zeit zahlreiche Falten und Male der Verbitterung eingeprägt. Aus
dengroßenundkleinenWarzen,diesichüberdasganzeGesichtverteilten,sprosseneinzelnekurzeoder
langeHaare,diegrauundborstenähnlichwaren.ImmerhattesieirgendeinWerkzeugindenHänden,das
ihr bei Bedarf als schnell bereite Waffe diente - einen Rechen oder eine Mistgabel, eine Schaufel oder
eine Sichel. Die friedlich um den und auf dem Misthaufen mitten im Hof einherstolzierenden Hühner
verscheuchte sie immer und immer wieder. Von links nach rechts, von vorn nach hinten, von oben nach
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