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ja Mäuse genug. Für Mirl war also gesorgt, und meinem Stiefvater würde sie ganz gewiss nicht noch
einmal zu nahe kommen.
Ich schritt vorbei am kleinen Marterl mit der Pietà, dann links über die mir so vertraute Schmidabrücke
und schon bald hatte ich die Bushaltestelle in Gettsdorf erreicht. Ich war früh dran, und so ging ich noch
einmal zur Brücke mit dem gusseisernen Geländer vor der Kirche. Schaute hinunter auf den leise dahin-
plätschernden Bach, beobachtete die Tauben bei ihrem morgendlichen Begrüßungsritual und dachte da-
bei auch an Max, mit dem ich nach der Schule oder nach der heiligen Messe so oft hier gestanden hatte,
wennwirberieten,waswirmitdemGeldmachenwürden,daswirfürdasMinistrierenausdemKlingel-
beutel oder für unsere Palmsonntagsbuschen von den Bauern bekamen, und welches der Mädchen uns
jeweils am besten gefiele. Jetzt würde ich ihn lange nicht wiedersehen. Auch Emma, meiner ersten Lie-
be, würde ich so bald nicht mehr begegnen. Emma, mit der ich viele Stunden auf unserem Dachboden
verbracht hatte, wo wir uns ein kleines Haus aus großen Pappkartons gebaut, miteinander die ersten An-
fänge junger Liebe, das Frühlingserwachen, verspürt und Dinge getan hatten, die wir dann unserem bei
derleiBekenntnissen stetssodetailversessenen PfarrerGregorBologniahattenbeichten müssen.Unsere
kleine Behausung hatten wir zwar schon lange wieder abgebaut, doch Emma würde ich sehr vermissen.
Ich bemitleidete den Arrestanten, wie er mit den erkalteten Blechtöpfen
dastand
BeimeinemEintreffenwarinderGaststubevomHotelGoldenesLammschonregerBetrieb.Eineältere
Frau mit stark geschminktem Mund und stoppeligen grauen Barthaaren an Kinn und Oberlippe stand
hinter der Schank und öffnete einmal die linke, einmal die rechte der hellbraunen Holztüren der Wand-
kühlschränke, stellte Limonadenflaschen in den einen und Bierflaschen, die sie aus einer am Boden ste-
henden rechteckigen Holzkiste nahm, in den anderen Schrank. Dazwischen polierte sie mit einem Woll-
tuch, auf das sie ein wenig graue Paste aus einer blau-weißen Tube schmierte, die Messinggriffe, bis sie
golden glänzten.
Auf meinen Gruß reagierte sie nicht. Ein Gast an einem der hinteren Tische rief: „Zahlen, bitte.“ Wieder
reagiertesienicht,undichmerkte,dasssieschlechthörte.Danndrehtesiesichum,sahmichverängstigt
mit meiner Tasche im Raum stehen und sagte, ohne meine Frage abzuwarten: „Mein Sohn, der Chef,
kommt gleich.“
Das mit einer schmutzigen, fettigen Schürze bekleidete und nach Bratendunst riechende Küchenmäd-
chen zeigte mir meine Unterkunft: ein kleines Zimmer mit Fenster, eingerichtet mit zwei Betten, zwei
Nachtschränken, einem Waschtisch mit Lavoir und Wasserkrug sowie einem Schrank mit Legefächern
aufderrechtenundPlatzzumAufhängenderKleideraufderlinkenSeite.DanngabmirMaria -sohieß
das Küchenmädchen - Anweisungen für die nächsten Arbeiten und fügte, als sie schon aus der Tür war,
noch hinzu: „In zwei Wochen kommt noch ein Lehrling.“ Ich hätte nicht so genau sagen können, wie
ich mich fühlte. Richtig wohl fühlte ich mich jedenfalls nicht. Sagte mir aber immer wieder, ich muss
hierbleiben, nach Hause will ich nicht mehr.
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