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kontinentaleuropäischen faschistischen Verbände, doch gab es in Irland ähnliche
Krisensymptome, die zu ihrem Entstehen beitrugen: eine allgemeine Skepsis gegenüber dem
Freihandelsliberalismus, ein überlieferter Kulturpessimismus, ein radikaler Nationalismus, eine
offen antisozialistische, antisemitische und populistische Propaganda sowie eine traditionell in
der Gesellschaft verwurzelte Abneigung gegenüber dem Parlamentarismus.
Insgesamt aber überstand Irland die Zeit des Zweiten Weltkriegs relativ unbeschadet und
war vergleichsweise gut aufgestellt, als es sich in der zweiten Jahrhunderthälfte Europa
zuwandte. Positive Entwicklungstendenzen lassen sich z.B. am Anstieg der Bevölkerungszahlen
sowie an der Bewältigung von Emigration und Arbeitslosigkeit ablesen. Allein in den zehn
Jahren von 1971 bis zur Volkszählung von 1981 wuchs die Bevölkerung Irlands um 15,6 %.
Damit war der Zustand von 1891 fast wieder erreicht. Erklären lässt sich diese Entwicklung unter
anderem mit dem Verebben der Auswanderung seit den 1960er Jahren. Erst angesichts der
Arbeitslosigkeit seit Ende der 1980er Jahre setzte die Auswanderung kurzfristig wieder ein,
erreichte jedoch keineswegs das Niveau der Vorkriegsjahre. Auch der erheblich verbesserte
Lebensstandard, Stadtsanierungen, Wohnungsbauprogramme, das Überwiegen von Katholiken
mit einer starken Kirchenbindung (Ende des 20. Jahrhunderts immerhin noch fast 70 %) sowie
die nach wie vor lebhafte Verurteilung von Ehescheidungen trugen ihren Teil zum
Bevölkerungswachstum bei. Die im europäischen Vergleich höchste Geburtenrate (1983 waren es
19 Geburten je 1000 Einwohner) machte Irland vor Portugal zudem zu Europas jüngster Nation.
Wandel und Öffnung
Wenn die Republik Irland sich in der zweiten Jahrhunderthälfte allmählich öffnete, dann
hatte das auch mit ihrer schrittweisen Säkularisierung und Internationalisierung zu tun.
Vorsichtig löste sie sich von der Fixierung auf das britische Feindbild, eine behutsame
Entwicklung, die 1996 im Staatsbesuch von Präsidentin Mary Robinson bei Queen Elisabeth II.
gipfelte. Insofern schlug Irland seit seiner Unabhängigkeit und trotz der Teilung eine
selbstbewusstere Richtung ein, die in der jüngsten Gegenwart endlich zu einer offenen
Diskussion von Themen wie der Gleichstellung der Geschlechter und einer modernen
Nordirlandpolitik geführt hat. Ähnliches lässt sich von der Kultur sagen. Die alle Epochen
umfassende, maßgebliche New History of Ireland , erstmals ab 1976 erschienen und unlängst in
einer komplett überarbeiteten Form neu herausgegeben (2008- 2011), ist das Gemeinschaftswerk
protestantischer und katholischer Historiker.
Diese Zusammenarbeit war umso wichtiger, als sie in politischer Hinsicht zunächst kaum
selbstverständlich war. Als Irland 1949 Gründungsmitglied des Europarates wurde, mussten das
staatspolitische Denken, der ideologisch tief verwurzelte Antikommunismus und die Tradition
selbstbezüglicher Sicherheits- und Stabilitätsprinzipien neu überdacht werden. Gesundheitspolitik
und Sexualhygiene, Gebiete, auf denen die Kirche nicht zuletzt als Trägerin vieler Krankenhäuser
dominierte, mussten verstaatlicht und klassische Reformblockaden überwunden werden. Gegen
die Übermacht des Katholizismus, die bewirkte, dass die Mehrheit der Iren noch Anfang der
1960er Jahre eher an der Kirche als am Staat festgehalten hätte, lehnte sich ein liberales
Verständnis von Kultur auf. Sean O'Caseys Theaterstücke standen allerdings ebenso wie die
Literatur von Simone de Beauvoir und George Orwell auf dem Index. Andererseits provozierte
dies eine finanzielle Förderung von Kultur und Literatur durch den Staat, der sich davon
international ein positiveres und dynamischeres Ansehen erhoffte.
Denn er geriet auch auf anderen Feldern in die Kritik. Eine Studie der OECD von 1966
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