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nicht länger vermittelbar. Éamon de Valera, dessen spanisch-amerikanischer Familienhintergrund
ihn 1916 wohl vor der Hinrichtung bewahrt hatte, ging deshalb den Weg einer Popularisierung
der republikanischen Idee. Gemeinsam mit Arthur Griffith, einem ehemaligen Kämpfer für die
Unabhängigkeit Ungarns, gelang es ihm, Sinn Féin bei den allgemeinen Wahlen von 1919 einen
überwältigenden Sieg zu sichern. In den 26 Grafschaften des späteren Irischen Freistaats erhielt
die Partei 65 % der Stimmen. Dabei profitierte sie davon, dass die noch junge Labour Party
zugunsten der Freiheitsbewegung keine eigenen Kandidaten aufstellte. Labours Unterordnung
unter die nationale Frage marginalisierte allerdings langfristig die irische Arbeiterbewegung in
Europa.
Die 1905 gegründete Partei Sinn Féin vertrat einen radikalen Separatismus und die
Auffassung, die Loslösung Irlands von Großbritannien müsse aus eigener Kraft und ohne Hilfe
von Seiten der britischen Liberalen, welche die Home Rule befürworteten, erreicht werden. Sinn
Féin begriff sich nach der Wahl von 1919 als legitimes Parlament Irlands (Dáil Éireann), weshalb
die 27 Abgeordneten ihre Mandate in Westminster nicht antraten, und verkündete die Republik,
als deren erster Präsident de Valera bestimmt wurde. Dieser aber befand sich bis Ende 1920 in
den USA, wo er um Unterstützung warb. Die britische legislative, exekutive und administrative
Autorität sollte fortan ignoriert werden, und Sinn Féin richtete eigene Gerichte ein.
Was den Feniern in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht gelungen war, sollte nun im
südlichen Teil der Insel Realität werden. Doch mit der Proklamation der Republik gab es kein
politisches Gesamtirland mehr. In den sechs Grafschaften des Nordens lebten ungefähr
1,3 Millionen Menschen, die zu zwei Dritteln der protestantischen Kirche angehörten; im Süden
der Insel waren mehr als 90 % der insgesamt 3,1 Millionen Einwohner Katholiken. Den
antibritischen Widerstand in Dublin unterstützten guerillaartige, von Michael Collins organisierte
Aufstände im ganzen Land, das dadurch unregierbar wurde. Wie Russland und Deutschland hatte
auch Irland seine Revolution. Klassenkonflikte äußerten sich in einer seit den Landunruhen der
1870er und frühen 1880er Jahre nicht mehr gekannten Unerbittlichkeit, die Arbeitslosigkeit
erreichte neue Rekordzahlen. Die Solidarität unter den Arbeitern aber verschwand beinahe völlig,
als fast 10.000 Katholiken aus Belfaster Fabriken und über 23.000 aus ihren Häusern vertrieben
wurden. Im Norden richtete man sich jetzt auf einen kompakten protestantischen Staat ein.
Die Hauptcharaktere auf der politischen Bühne im Süden hätten unterschiedlicher nicht
sein können und spalteten sich an der Entscheidung, ob sie den Anglo-Irischen Vertrag vom
6. Dezember 1921 akzeptieren sollten. Der Vertrag sah die Bildung eines Irischen Freistaats vor,
der zu diesem Zeitpunkt noch die gesamte Insel umfassen sollte, wobei er den sechs Grafschaften
Ulsters das Recht gab auszutreten. Er war ein Kompromisswerk, eine Konsequenz des Drucks der
öffentlichen Meinung in Amerika einerseits und Großbritannien andererseits. Die USA förderten
das Selbstbestimmungsrecht kleiner Nationen, für dessen Verteidigung sie im Ersten Weltkrieg
gekämpft hatten, und stellten sich hinter die Republik; zugleich konnten die Protestanten in
Ulster erwarten, für ihre hohen militärischen Verluste in Europa und im Empire entschädigt zu
werden.
Der Anglo-Irische Vertrag sah noch einen gesamtirischen Eid auf die Krone vor, ohne
aber damit der Teilung vorbeugen zu können. Im Gegenteil: Als er am 7. Januar 1922 mit einer
knappen Mehrheit von 64 zu 57 Stimmen angenommen wurde und bei der Wahl im Juni 1922 die
Vertragsbefürworter 58 Parlamentssitze, die Gegner aber nur 35 Sitze errangen, brach der
Bürgerkrieg aus. Erneut stand ein zentrales Dubliner Gebäude, diesmal das Zollhaus, im
Mittelpunkt der Feindseligkeiten. So gingen der am 21. Januar 1919 begonnene
Unabhängigkeitskrieg («Black and Tan War») und der Bürgerkrieg, der im Frühjahr 1923 sein
Ende finden sollte, gleichsam ineinander über.
Der Freistaat, der am 6. Dezember 1922 schließlich mit einer neuen Verfassung ins Leben
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