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Bildung und geistiges Leben
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das primäre Bildungswesen in Irland völlig
unterentwickelt. Wenn überhaupt, wurde die breite Masse der Bevölkerung im Freien
unterrichtet, ohne Schulgebäude. Der Einfluss des katholischen Klerus war omnipräsent, bis hin
zur Organisation der täglichen Schulspeisung, die ausschließlich katholischen Kindern
zuteilwurde, durch die Irish Christian Brothers und die Ursulinen. Schulische Erziehung war eine
Angelegenheit der Kirchen, die auch hier ihre religiösen Grabenkämpfe austrugen und eine
interkonfessionelle Schulbildung ausschlossen. 1831 führte die britische Regierung ein nationales
Bildungssystem in Irland ein. In diesem Jahr hatte es nur 789 Schulen im ganzen Land gegeben,
doch schon 20 Jahre später war ihre Zahl auf 3501 mit insgesamt über 400.000 Schülern
gestiegen. Erneut offenbarte die Hungersnot die regionalen Diskrepanzen: Ulster besaß über
40 % der Schulen, Connacht lediglich 10 %. Das Analphabetentum war ein ländliches Problem.
Zudem war der Bildungsgrad von der Konfessionszugehörigkeit abhängig. 1841 konnte etwas
weniger als die Hälfte der irischen Bevölkerung weder lesen noch schreiben; 1911 waren es
immerhin noch 12 %.
Wer des Schreibens nicht mächtig war, beherrschte meist das Gälische. Mitte des
19. Jahrhunderts benutzte noch jeder vierte Ire diese Sprache im Alltag, 50 Jahre später noch
jeder zehnte. Damit konnte an die mündliche Tradition des Mittelalters angeknüpft werden.
Gleichzeitig erhielt die Sprache eine politische Bedeutung, die an die soziale Stellung ihrer
Sprecher geknüpft war: Englisch wurde als die Sprache der Reformation, der Hochkirche, der
gebildeten, kommerziellen, professionellen Schichten, des protestantischen Dubliner Trinity
College, der Union angesehen. Gälisch, einst ein Symbol der irischen Kultur, wurde darauf
reduziert, die Sprache der Armen und Ungebildeten zu sein. Das konnte auch die 1893
gegründete Gaelic League nicht verhindern, die zu akademisch ausgerichtet war und dem
wissenschaftlichen Interesse den Vorrang vor dem praktischen Umgang gab. So blieben dem
Gälischen zwei Wege: als Alltagssprache mit abnehmender Anschlussfähigkeit und als
Literatursprache ohne Außenwirkung.
Gälische Dichter des 18. Jahrhunderts wie Eoghan Ruadh Ó Súilleabháin waren in Armut
gestorben. Die auf Gälisch verfassten Werke ihrer Nachfolger wie z.B. Humphrey O'Sullivan
wurden gar nicht erst gedruckt, bevor W. B. Yeats diesen Autor wie auch Aodhagán Ó Rathaille
und Brian Merriman im Umkreis des «Gaelic Revival» wiederentdeckte. Charles Lever, Emily
Lawless und Sheridan Le Fanu schlossen sich an. Charakteristisch für die Bewegung der
gälischen Wiedergeburt waren ihr spätromantischer Keltismus, ihr christlich-esoterischer
Okkultismus, ihre gleichsam archaisierende Abkehr vom Materialismus und Rationalismus der
Moderne sowie ihre Rückkehr zur Folklore, zu alten Tänzen, alter Poesie und Liedkultur. Die
politische Botschaft von Yeats' Drama The Countess Cathleen (1892), das in Irland zur Zeit einer
Hungersnot spielt, war unzweideutig. Das Stück wurzelte in einer typisch irischen Ästhetik des
Fin de Siècle, einem markanten Gegenentwurf zur englischen Literatur der Jahrhundertwende.
Sein Forum war nicht die politische Bühne, sondern das 1899 in Dublin ins Leben gerufene Irish
Literary Theatre (seit 1904 Abbey Theatre) sowie das 1928 gegründete Gate Theatre. Yeats
erhielt 1923 den Literaturnobelpreis - eine Antwort der Weltöffentlichkeit auf das Verlangen
Irlands nach politischer Anerkennung und auf die symbolische Verzahnung von Literatur und
Politik.
Land, Home Rule und Protestantischer Unionismus
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