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1841 und 1851 starben in Irland über 1,62 Millionen Menschen, davon 56 % Männer. Die
meisten Todesfälle verzeichnete man in Connacht (29 %), die wenigsten in Leinster (15 %).
Nachdem dann die Hungersnot überwunden und nunmehr vor allem die Emigration für den
Bevölkerungsschwund verantwortlich war, stammte die Mehrheit der Emigranten aus dem
vergleichsweise reichen Munster (19 %) und nur 10 % aus Connacht.
Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die saisonale Wanderung von
Landarbeitern begonnen. Nach dem Einpflanzen der Kartoffeln und nach dem Torfstich für den
kommenden Winter konnten sie Irland zwischen Frühsommer und Herbst verlassen. In England
halfen sie vor allem bei der Getreideernte. Die Hauptwelle der Auswanderung setzte dann um
1845 ein. In den zehn Jahren bis 1855 verließen über zwei Millionen Iren ihr Land und gingen
nach Nordamerika oder Australien, ungefähr 750.000 zogen nach England oder Schottland.
Allein in Liverpool, das seit Jahrhunderten die britische Ausgangspforte für den Verkehr zur
Nachbarinsel darstellte, kamen bis Juni 1847 30.000 Iren an, welche die Stadt nachhaltig prägten.
Obwohl die Iren die weitaus größte Gruppe der europäischen Atlantiküberquerer bildeten, war
Amerika nicht nur für sie das Hauptziel, sondern auch für Engländer, Norweger, Schweden,
Portugiesen, Spanier, Italiener und Deutsche. In Amerika konnten die Iren zu einer Kultur des
«Melting Pots» beitragen. Hier wie auch in anderen europäischen Ländern gehörten sie selbst als
temporäre Arbeitsmigranten einem soziokulturellen Netzwerk an, das sich zu einer
Immigrantengesellschaft mit teils explosiver religiöser Sprengkraft entwickelte.
Um einen Vergleich anzuführen, so wanderten im 19. Jahrhundert über 2,3 Millionen
Schotten nach Nordamerika, Australien, Asien und Südafrika und über 600.000 in den Süden
nach England aus. Norweger, Iren und Schotten bildeten Europas größte und mobilste
Migrationsgesellschaften. In Manchester entstanden Ghettos wie z.B. New Town mit einem
irischen Bevölkerungsanteil von über 60 %. Städte wie Glasgow veränderten ihr Gesicht
dramatisch, was sich im Falle von Glasgow bis in die Gegenwart in seinen verfeindeten
Fußballclubs niederschlägt. Ähnliches widerfuhr New York, wo im Juli 1863 gewalttätige
Ausschreitungen organisierter irischer Banden gegen kurz zuvor aus der Sklaverei entlassene und
nun auf den Arbeitsmarkt drängende Schwarze über 1500 Todesopfer forderten. Seitdem ließ der
Fluss der Emigration nach - versiegen sollte er aber nicht.
Die amerikanische Konjunkturkurve und die europäische Emigrationskurve verliefen
ungefähr proportional zueinander. Der Anstieg Letzterer war auch ein Spiegel der
Regelmäßigkeit von Hungersnöten in Irland. Noch zwischen 1871 und 1891 emigrierten über
1,4 Millionen Iren, d.h. ungefähr 70.000 jährlich, von denen nur 20 % aus dem Norden der Insel
stammten. Je besser ausgebildet vor allem die Frauen waren, umso eher tendierten sie dazu, ihre
Heimat zu verlassen. Dabei hatten Frauen als Arbeitskräfte auf dem Land eine zentrale
Bedeutung und trugen, solange der Ackerbau weiter verbreitet war als die Viehzucht, die größte
Last, zumal wenn sie einem Haushalt vorstanden, in dem es gewöhnlich viele Kinder, aber kaum
Personal gab. Die emigrierenden Männer stammten hingegen vorwiegend aus den schlechter
ausgebildeten bis proletarischen Schichten, die in der Landwirtschaft für niedrigste Löhne ohne
Aufstiegschancen arbeiteten.
Während fast überall in Europa zwischen 1870 und 1914 weniger Kinder pro Familie
geboren wurden, hatte eine südirische Familie durchschnittlich sechs, eine nordirische fünf
Kinder. Auf dem Land war es üblich geworden, dass man spät heiratete und dennoch viele
Kinder bekam. Auf Druck der katholischen Kirche sank das Heiratsalter jedoch allmählich auf
unter 21, womit die Zahl der Geburten noch anstieg. Die Mehrzahl der Nachkommen wanderte
aus und subventionierte ihre Familien durch ihre in Übersee erworbenen Verdienste. So steuerte
die Internationalität der Familien zu ihrer sozialen und materiellen Absicherung bei.
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