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IV. Jahrhundert der Extreme
1801-1921
Der Schlüsselbegriff für das lange 19. Jahrhundert in Irland ist die Union, die mit der
Massenmobilisierung der öffentlichen Meinung, der großen Hungersnot von 1845-1849 und mit
Auswanderungswellen von bisher unbekannten Ausmaßen unmittelbar in Zusammenhang steht.
Eine noch stärkere Bindung der Landfrage an die nationale Frage und der katholischen Kirche an
den irischen Nationalismus war die Folge. Erster Weltkrieg, Osteraufstand und Bürgerkrieg:
Irlands Geschichte der Extreme kulminierte in der Gewalt des noch jungen 20. Jahrhunderts.
Die Massenmobilisierung der öffentlichen Meinung
Nach der Jahrhundertwende wurde Wandel - als ideologische Folge der Aufklärung und
als politische Folge der Französischen Revolution - greifbarer als je zuvor. Noch um 1700 war
für den durchschnittlichen Menschen eine Veränderung der Alltagsumstände innerhalb seiner
Lebenszeit kaum zu spüren gewesen. Um 1800 dagegen hatte ein rasanter Wandel auf lokaler wie
auf nationaler Ebene eingesetzt. Die Ikonen der Industriellen Revolution wie die Dampfmaschine
und ein Netz von Kanälen hatten eine ganz neue Geographie geschaffen. Die konzentrierte
Akkumulation von Kapital und ein rasches Bevölkerungswachstum, die Privatisierung der
Wirtschaft und, als Kampf dagegen, der Frühsozialismus hatten die Britischen Inseln in
besonderem Maße geprägt. Deren Sonderweg und damit auch der Sonderweg Irlands war
globalgeschichtlich erst mit der Industriellen Revolution sichtbar geworden. In Irland war davon
ab der Jahrhundertwende die Bevölkerungsmehrheit zunehmend deutlich betroffen.
Der Streit um ihre Emanzipation war das Thema, das die Katholiken einte. Daniel
O'Connell hingegen, der wichtigste Politiker Irlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
spaltete sie, obgleich er oft als Integrationsfigur betrachtet wurde. Von den pazifistischen
Nationalisten als «Liberator» gefeiert, wurde er von der gewaltbereiten Fraktion, aus der später
die Bewegung des Young Ireland hervorging, als zu kompromissbereit geschmäht.
Irland war seit 1801 im Londoner Parlament mit 100 von insgesamt 658 Sitzen vertreten.
Mit 1,25 Millionen Pfund sowie Adelstiteln und Patronage erkauft, sollte die Union den
katholischen Gutsbesitzern zwar ihren Wohlstand sichern. Doch mit der legislativen Vereinigung
Irlands und Englands privilegierte sie die protestantischen Kirchen beider Inseln, die einen
gleichsam staatstragenden Nimbus erhielten. Ähnlich hatte sich die Union zwischen Schottland
und England 1707 ausgewirkt, als die presbyterianische Kirche Schottlands unter besonderen
Schutz gestellt worden war.
Für die Katholiken war das exklusive Vokabular der Ascendancy nach 1800 zu elitär
geworden. Wenn sie sich auf ein Vorbild beriefen, dann auf die amerikanischen Revolutionäre.
An diesem Punkt setzte Daniel O'Connells Bewegung an. In seinem an Königin Viktoria
gerichteten polemischen Memoir on Ireland. Native and Saxon (1843) legte er dar, wie Irland seit
1169 die Gestaltung der eigenen Geschichte entrissen worden sei. Die Union von 1801, durch
Betrug und Korruption zustande gekommen, habe vorerst endgültig die irische Legislative
zerstört, doch den Freiheitswillen lasse Irland sich von niemandem nehmen.
O'Connell wollte um jeden Preis der Gewalt vorbeugen. Für einen Penny Monatsbeitrag
konnte man sich an der 1823 von ihm gegründeten Catholic Association beteiligen, von der
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