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Ihre Herrschaft zu sichern und Garantien für sich selbst zu schaffen, bildete entsprechend
ein wichtiges Anliegen der irischen Oberschicht. Dieses Ziel konnte auf unterschiedlichen Wegen
verfolgt werden. Nicht unterschätzt werden sollte dabei die Macht der Gesetze, der Gebräuche,
der Geschichte und nicht zuletzt der Sprache. Letzterer schrieb später der schottische Dichter
Walter Scott die Kraft der Zusammenführung von Normannen und Angelsachsen zu und sah in
ihr die Basis für die Einigung der Britischen Inseln. Die mächtigen Familien, darunter die
Fitzgibbons und die Hely-Hutchinsons, waren nicht allein tonangebend in diesem Prozess. Von
nicht geringerer Bedeutung war das Leistungsethos einer privilegierten Mittelschicht aus
gehobenem Handwerk und Kaufmannschaft. Ihre Ambivalenz bestand darin, dass sie gewöhnlich
den Großteil ihres Lebens in Irland verbrachte, aber eigentlich stets auf eine politische Laufbahn
in England spekulierte.
So thematisierte Jonathan Swift, einer der wirkmächtigsten Vertreter der Ascendancy in
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in seinen Schriften wiederholt seine Enttäuschung über
seine unvollendete Karriere als Dekan der Dubliner St. Patrick's-Kathedrale. Seine politischen
Ambitionen ließen sich nicht mit seinem literarischen Ansehen vereinbaren. Noch vor dem
Welterfolg von Gulliver's Travels (1726) engagierte Swift sich gegen die Einfuhr englischer
Fertigwaren nach Irland und gegen das Prägen königlicher Halfpenny-Münzen; später schrieb er
in einigen bitteren Satiren gegen die verbreitete Armut an. Dieses Leitthema fand auch in seiner
Short View of the State of Ireland (1728) Niederschlag, in der Swift die Einzigartigkeit der
irischen Armut betonte, die stark von äußeren Faktoren beeinflusst sei. Sein Modest Proposal
(1729) war ein zynischer Vorschlag an wohlhabende Engländer, die unzähligen Kinder der
Armen Irlands zu erwerben und für den Kannibalismushandel zu verkaufen. Ein oft bemühtes
Klischee lautete in dieser Zeit, der einzige Reichtum Irlands seien seine Menschen. Den jüngsten
unter ihnen sollte in Findel- und Arbeitshäusern geholfen werden. Das berühmteste davon, das
Waisenhaus in der Dubliner James Street, beherbergte zeitweise über 300 verstoßene Kinder.
Doch allein die hygienischen Verhältnisse in den Kinderheimen waren so katastrophal, dass ein
Großteil nicht überlebte.
Bereits nach seiner Anklage der religiösen Heuchelei in Tale of a Tub (1704) hatte Swift
nicht mehr ernsthaft mit seiner Berufung auf einen attraktiven Posten in der englischen
Hochkirche rechnen können. Fortan war er, exemplarisch für die Mittelstellung der Ascendancy,
zu politischer Ohnmacht verdammt. Kompensation suchte diese Schicht auf dem Feld der
Architektur. Dieses Leitmotiv der irischen Kulturgeschichte lässt sich vom Klassizismus Dublins
in den Four Courts und dem Custom House (1791) bis zum Bau des monumentalen Belfaster
Parlaments im Vorort Stormont (1932) nachvollziehen. Schon 1729 verewigte sich der irische
Architekt Edward Lovett Pearce mit dem Entwurf des eindrucksvollen Parlaments am Dubliner
College Green, das zehn Jahre später von Arthur Dobbs fertiggestellt wurde. Absichtlich
prachtvoller gestaltet als das Parlament in London, trägt dieses Gebäude im Herzen der Stadt
Züge der italienischen Baukunst.
Daneben wurden in Dublin Straßen begradigt und Plätze angelegt wie z.B. St. Stephen's
Green und Merrion Square sowie einer der größten Parks Europas, der Phoenix Park an der
nordwestlichen Stadtgrenze. Unter idealen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen
wurde das georgianische Dublin für ein selbstbewusstes Bürgertum großzügig mit vornehmen
Wohnsitzen ausgebaut, die durchweg mit drei Vollgeschossen und einem Halbgeschoss
ausgestattet waren. Prachtstraßen wie die Gardiner Street schufen eine enge Verbindung von
herrschaftlichen Wohnlagen mit Hauptgeschäftszentren, die im 19. Jahrhundert um das
Nationalmuseum, die Nationalgalerie und die Nationalbibliothek bereichert wurden. Für die
zweitrangige Kirchenarchitektur Dublins entschädigte das Trinity College mit seiner Anlage, in
der sich Bibliothek und Universitätskapelle, Wissen und Glauben, auch architektonisch
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