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schätzte Petty die Gesamtbevölkerung Irlands auf ungefähr 1,3 Millionen. Davon lebte die
überwiegende Mehrheit auf dem Land, war u.a. in der Woll- und Leinenproduktion beschäftigt
und wendete den Großteil ihres Einkommens für die Bezahlung der Pacht auf. Unter diesen
Umständen gab es kein Entkommen aus der prekären Armut. Sie barg neben der politischen
Instabilität für die Grundbesitzer ein weiteres unkalkulierbares Risiko, das durch Rezessionen
noch gesteigert wurde: Ernteausfälle zogen Pachtausfälle nach sich, und diese wiederum
gefährdeten den Außenhandel. Schlimmer noch waren die Hungersnöte, die schwache Ernten
verursachen konnten. War der Export irischer Waren fast ausschließlich auf England beschränkt,
so entschärfte sich dieses Problem auch nicht durch die englische Erschließung des atlantischen
Kolonialhandels, weil dieser Irlands Abhängigkeit vom transnationalen Wirtschaftssystem des
jungen Kolonialreichs nur umso deutlicher illustrierte.
Von der Pacht profitierten Mittelsmänner, die Church of Ireland und eine kleine
landbesitzende Elite, die ihren Wohlstand in prächtigen sogenannten Big Houses zur Schau trug.
Diese soziale Minderheit brachte einen grundsätzlich anderen ethnischen, kulturellen und
religiösen Hintergrund mit als die gälisch-katholische Bevölkerungsmehrheit - ganz gleich, ob
sie sich als Nachkommen der anglo-normannischen oder der englischen Siedler aus der Zeit
Elisabeths I. betrachteten. Die politisch Ambitionierten unter ihnen besaßen einen Zweitwohnsitz
in Dublin, das um 1690 etwa 60.000 Einwohner zählte und im Schloss den Sitz des englischen
Statthalters beherbergte. Mit ihm in regelmäßigem Kontakt zu stehen, war entscheidend für das
politische Fortkommen. Als blühende Seehäfen waren hingegen nur Cork und Limerick
wettbewerbsfähig.
Aus europäischer Perspektive hatte Irland sich zu einem auf Dublin hin zentralisierten,
doch von England komplett abhängigen Königtum entwickelt. Petty beschrieb, wie sich in dieser
Zeit das Erscheinungsbild Dublins veränderte und wie die Provinzhauptstadt parallel zu London
urbaner und wohlhabender wurde. An ihrer frühgeorgianischen Architektur, den Anlagen von St.
Stephen's Green und Merrion Square, am Royal Hospital und dem Custom's House, sind auch
die Ansprüche der Stadtplaner abzulesen, durch Eleganz die Eigenbedeutung der Stadt zu
unterstreichen. Zwar konnte das Trinity College mit den Universitäten von Oxford und
Cambridge noch nicht konkurrieren, sofern es galt, durch höhere Bildung politische und
kulturelle Konformität zu bewirken; noch wurde es, wie z.B. von den Schriftstellern William
Congreve und George Farquhar, nur als Zwischenstation benutzt. Aber es war lediglich eine
Frage der Zeit, dass diese Wahrnehmung korrigiert wurde. 1704 verbot ein Gesetz den irischen
Katholiken, Land zu kaufen oder durch Heirat zu erwerben. Das wenige bei katholischen
Familien verbliebene Land wurde durch erzwungene Erbteilung automatisch immer kleiner und
zerstreuter, es sei denn, ein Erbe konvertierte zum Protestantismus: In diesem Fall wurde ihm das
ganze Land übertragen. Geleitet war dieses Programm von der Idee, flächendeckend materielle
Armut unter den Katholiken und in ihrer Folge auch Bildungsarmut zu schaffen.
Zwei Kulturen
Der Fluss Shannon markierte fortan die Grenze zwischen den Kulturen, zwischen Westen
und Osten. Eine andere Barriere bildete das Gälische, das auch ein Grund für das Scheitern der
protestantischen Missionierung war. Denn die protestantischen Geistlichen konnten sich an die
Mehrheit der Iren nicht in deren eigener Sprache wenden. Nirgendwo war Irland in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts kulturell und religiös stärker polarisiert, nirgendwo wurden die
englische Herrschaft und der Widerstand gegen sie brutaler praktiziert als in Connacht, jener
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