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1394 bereiste mit Richard II. erstmals seit zwei Jahrhunderten wieder ein englischer
König Irland. Er wurde von den irischen Stammeskönigen willig als Lehnsherr anerkannt, nicht
zuletzt weil er ein Heer von 10.000 Mann im Gefolge hatte. Doch schon zu dieser Zeit war die
Zersplitterung Irlands in zahllose kleine Herrschaften längst nicht mehr abzuwenden. Ob dieser
Zustand den Vorteil hatte, den er bereits zur Zeit der Wikinger-Einfälle besaß, nämlich einen
Schutz gegen die vollständige Übernahme durch einen Eroberer zu bieten, sei dahingestellt. Die
Zerrissenheit Irlands im Mittelalter konnte zumindest dem englischen Einfluss entgegenwirken
und ihn im besten Fall absorbieren. Die Idealisierung einer nationalstaatlichen und
gesellschaftlichen Einheit, wie wir sie aus dem Europa des 19. Jahrhunderts kennen und etwa in
der Verherrlichung legendärer irischer Könige wie Brian Boru wiederfinden, war dem
mittelalterlichen Irland fremd. Zu Recht könnte man es als Stärke des unzusammenhängenden
geographischen Gebildes Irland betrachten, dass es dynamischer auf äußere Veränderungen
reagieren und innere Entwicklungen im Spannungsfeld von archaisch und lateinisch geprägten
Zivilisationen leichter auffangen konnte.
Sozialgeschichtlich betrachtet präsentierte sich das spätmittelalterliche Irland in einem
Zustand des Niedergangs. Der Bevölkerungsrückgang als Konsequenz von Seuchen war in den
dichter besiedelten Städten besonders hoch, er wird für das frühe 16. Jahrhundert auf 50 %
geschätzt. In diesem Kontext erreichten die Anglo-Iren wie z.B. die Ormonds, dass die englische
Krone vorübergehend fast vollständig auf ihre Unterstützung setzen musste. Denn erstens war der
englische Einfluss auf ein Gebiet von etwa 30 x 45 Kilometern im Umkreis von Dublin, seit 1446
als «Pale» bezeichnet und seit 1494 mit einem Wallgraben gesichert, geschrumpft und ansonsten
nur noch in wenigen Städten wie Athlone, Meath, Trim und Wicklow real vorhanden. Um 1500
waren insbesondere Ulster und Connacht wieder vornehmlich gälisch geworden. Die
wiedergewonnene Freiheit bedeutete allerdings nicht territoriale Einheit, denn die englische
Politik des «Teile und herrsche» hatte zu nachhaltig für Unfrieden unter den zahllosen irischen
Anführern, den «Chieftains», gesorgt. Zweitens aber war es nur eine Frage der Zeit, dass die
Tudors die Kontrolle über die Insel zurückerobern würden, und es war klar, dass die Anglo-Iren
dabei eine wichtige Rolle übernehmen sollten. Der englische Lord Lieutenant Edward Poynings
erließ 1494 ein Gesetz, das parlamentsähnliche Zusammenkünfte der Iren ohne Zustimmung des
Königs untersagte und diese damit politisch entmündigte. Als dann im 16. Jahrhundert die Politik
der «Plantation» eingeführt wurde, die gezielte Ansiedlung englischer und schottischer Bauern,
Handwerker und Kaufleute und die vorausgegangene Umsiedlung und Enteignung der gälischen
Bevölkerung, war dies eine Antwort auf die Erfahrungen des Spätmittelalters. Es entsprach der
systematischen Unterwerfung Irlands und der neuerlichen Kolonisierung eines Landes, das
inzwischen als unregiert und unregierbar galt.
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