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das und doch sind immer die anderen schuld. José Gil bezeichnet dies bei-
spielsweise als „Nicht-Einschreibung“, d.h., man bringt sich selbst nicht in
die Realität ein, lebt in einer Art verhüllendem Nebel. Dazu gehört auch,
dass das Eigenbild der Portugiesen meistens nicht mit dem Fremdbild
seitens des Betrachters übereinstimmt. Die Selbsteinschätzung reicht von
himmelhochjauchzendem Ego bis weinerlichem Selbstmitleid, von „Wir
sind die Besten“ bis „Es ist sowieso alles nichts“. Andererseits ist man da-
von überzeugt, dass alle Ausländer von portugiesischer Gastfreundschaft
überwältigt sind und sich so wohl fühlen, dass sie immer wieder zurück-
kehren möchten. Ein ausgeglichenes Mittelmaß realistischer Selbstein-
schätzung trifft man eher selten.
Portugal bezeichnet sich selbst gern als País dos brandos costumes -
„das Land der sanften Sitten“. Damit meinen die Portugiesen die in ih-
ren Augen wesensbestimmende moderate, nicht aggressive Art. Bei Frem-
den kommt jedoch gerade diese Eigenschaft oft als Passivität, Apathie und
fehlende Eigeninitiative an. Irgendwie steht der Nichtportugiese immer
vor einem Rätsel. Die tiefer sitzenden Traumata werden nur in näheren
Analysen für eingeweihte und langjährige Kenner des Landes sichtbar. Der
Kurzbesucher wird die Fassade kaum durchdringen können und bleibt
meist in einer eher oberflächlichen Begegnung stecken. Der Tourist
nimmt generell die ersten Eindrücke von diskreter Freundlichkeit und
als Höflichkeit empfundener Reserviertheit mit nach Hause. Was ganz im
Sinne der Portugiesen ist: Den Schein zu wahren, ist eine wichtige Grund-
lage für ein gutes Image und ein Schutz vor allzu tiefen Einblicken.
(Un-)Zufriedenheit
Laut einer Untersuchung des Wissenschaftlichen Soziologischen Instituts
der Universität von Lissabon und des Wissenschaftsinstituts für Arbeit und
Unternehmen (ISCTE) gehören die Portugiesen zu den am wenigsten zu-
friedenen Europäern. Die Studie, die in drei Phasen zwischen 2001 und
2006 erarbeitet wurde, bezieht sich auf zeitgleiche Umfragen in 23 euro-
päischen Ländern. Dabei belegte Portugal in der Zufriedenheitsskala, wo-
bei es um das subjektive Wohlgefühl, Glück und Zufriedenheit ging, den
fünftletzten Platz. Was das psychische Wohlergehen betrifft, kam Portugal
unter den 23 teilnehmenden Ländern auf den 16. Platz. Dahinter folgten
nur noch Ungarn, Russland, Polen, Bulgarien, die Slowakei und die Ukrai-
ne. Unter dem Blickpunkt des sozialen Miteinanders sah die Analyse nicht
viel positiver für die Portugiesen aus.
Die Autoren interpretierten die Zufriedenheitswerte im Zusammenhang
mit der wirtschaftlichen Entwicklung und Situation eines Landes. Je höher
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