Travel Reference
In-Depth Information
einen seiner portugiesischen Bekannten klagen. Andererseits wird nir-
gendwo so oft von der Schande der Umstände gesprochen. È uma ver-
gonha, que somos tão mediocres. - „Es ist eine Schande, dass wir heute so
unbedeutend sind.“ Auch die Politiker, die EU, die Korruption, das Ge-
sundheitssystem sind laut Radioforen und Umfragen immer wieder Grund
für eine vergonha („Schande“). Im Fußball puscht man sich gern gegensei-
tig hoch oder beschuldigt sich, je nach Sieg oder Niederlage der seleçao,
der Nationalmannschaft.
Zum Minderwertigkeitskomplex gesinnt sich auch der Neid: auf den
Nachbarn Spanien, das emanzipierte und lebensfrohe Brasilien, die gro-
ßen EU-Länder, auf das neue Auto des Nachbarn, die hübschere Freundin,
die reichen Sonnenrentner etc. Ein Bekannter sagte mir einmal: „Wir Por-
tugiesen zerfressen uns noch selbst mit unserer inveja (,Neid', Anm. d.
A.)“. Ein altes Sprichwort sagt: A galinha da vizinha é mais gorda do que a
minha. Frei übersetzt: „Das Huhn des Nachbarn ist fetter als das meine.“
Nur in einem sind sich alle Portugiesen einig: Das Essen (comida), der
Wein (vinho) und die Strände (praias) sind die besten der Welt. Punkt.
Selbsteinschätzung und Möchtegern-Image versus Realität
„Eu não sou nada.
Nunca serei nada.
Não posso querer ser nada.
À parte isso, tenho em mim todos os sonhos do mundo.“
„Ich bin nichts.
Ich werde nie etwas sein,
Ich kann nicht einmal etwas sein wollen.
Abgesehen davon trage ich in mir alle Träume der Welt.“
( Fernando Pessoa, alias Álvaro de Campos, aus „Tabacaria, Dichtungen“)
Die meisten Portugiesen bewegen sich zwischen den beiden Extremen
Größenwahn und depressiver Lethargie. Kurioserweise sprechen alle Por-
tugiesen immer von „ den Portugiesen“, wenn es um nationale Verhaltens-
analysen geht. Gerade so, als ob sie selbst nicht Teil dieser Identität seien
und sich von den negativen Aspekten abgrenzen möchten. Jeder be-
schwert sich über die falta de civismo, den fehlenden Bürgersinn, die feh-
lende Rücksicht, das ewige Jammern ohne zu Handeln. Und doch tut es
jeder selbst. Überhaupt scheint der Respekt dem anderen gegenüber in
der portugiesischen Gesellschaft abhandengekommen zu sein. Jeder sieht
Search WWH ::




Custom Search