Travel Reference
In-Depth Information
Weiblichkeit als im christlichen Westen halten konnte - ein tiefer Aus-
druck weiblichen Selbstverständnisses. „Jahrhundertelang haben die
Mütter und Tanten den kleinen Mädchen die Grundelemente des orienta-
lischen Tanzes beigebracht, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Das tun
sie heute noch, und der Tanz wird von einer Generation zur nächsten zur
Feier des Körpers und als Ritual der Selbstverwirklichung weitergegeben.
Für mich ist der orientalische Tanz das einzige Hobby und der einzige
Sport, dem ich als stundenlang an ihrem Schreibtisch sitzende Schriftstel-
lerin und Wissenschaftlerin nachgehe.“ 20) Und in Abgrenzung von der im
westlichen Männerblick sich reduzierenden Bedeutung des Bauchtanzes
in amerikanischen „Orientfilmen“ ergänzt Mernissi wenig später: „Und so
ist es wenig erstaunlich, dass die Fähigkeiten von Scheherazade und den
anderen Haremsfrauen sich in Hollywood auf den Bauchtanz beschränk-
ten, aber in einer Vamp-Version, bei der der weibliche Körper kein Ort
kosmischer Kraft mehr ist und nur noch für eine billige Art animalischen
Hüftwackelns taugt.“ 21)
Es ist nur auf den ersten Blick grotesk: Der im Westen so gern als frau-
enfeindlich angesehene Islam ist diejenige Kultur - der „Orient“ -, von
dem der ehemals so „prüde“ Westen die Renaissance des erotischen
Bauchtanzes erbt. Die islamische Aufteilung der Geschlechterräume -
wenn auch unter patriarchalischer Dominanz - garantiert der „kosmi-
schen Kraft“ der Frauen das Überleben, ja garantiert zumindestens in den
Schutzräumen eine jeweils eigene, weibliche Identität.
Also ist der Bauchtanz nicht nur der älteste, sondern auch der weib-
lichste Tanz schlechthin, eine Art ryhthmisch umgesetzte Selbstverwirkli-
chung. All seine Elemente - das Kreisen des Beckens, die ausladenden
Bewegungen der Hüften und die verführerischen Konvulsionen des Bau-
ches - konzentrieren d en Blick auf die Mitte des Körpers, gleichsam auf
seine geschlechtliche „Erdhaftigkeit“ (schon die Muttergottheiten wur-
den immer als erdhafte Göttinnen gefasst). Der ganze Tanz hat so einen
höchst irdischen Zug nach „unten“ oder besser: Er kreist und umschwingt
das Erdhafte.
Tanz der Derwische
Die Männer dagegen streben in den Himmel, also in die andere Richtung.
Womit wir zu der beruhigenden, emanzipierenden Tatsache überleiten
können, dass auch das Männliche „seinen“ kultischen Tanz hat, und
zwar einen, der wohl ebenso berühmt, wenn auch nicht so verbreitet wie
der weibliche Bauchtanz ist: der schwerelose Wirbel der tanzenden Der-
wische. Seine klassische Ausformung durch die in Konya ansässige Ge-
Search WWH ::




Custom Search