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Tradition und Mystik
Komm ohne Trommel nicht: wir sind verzückt.
Die Trommel schlag, wir sind im Sieg beglückt.
Berauscht sind wir, doch nicht vom Rebenwein,
Aus allem, was erdacht, sind wir entrückt!
(Mevlana Celâlledin Rumi) 14)
Tradition ist sicherlich ein breites Feld; es reicht von mündlich tradiertem
Aberglauben bis zum offiziell gepflegten Kulturerbe eines Landes, ein Er-
be, das in Organisationen und Vereinen aufbewahrt, ja sogar untersucht
und weiterentwickelt werden kann.
Aberglaube
Der Aberglaube dagegen kann zwar zäh, aber oft erklärungslos oder zu-
mindestens dunkel daherkommen, und auch Sevilay fällt es nicht leicht,
mir zu beantworten, was der Hintergrund vieler abergläubischer Über-
zeugungen und Praktiken ist. Sevilay ist unter anderem Buchhändlerin,
und sie hat mir versprochen, sich in Fragen des Aberglaubens ein wenig
umzusehen. Ich staune, wie ernsthaft sie meine Nachfrage aufgenom-
men hat, denn bei unserem nächsten Treffen liegt ein sorgsam beschrie-
benes Notizbuch auf dem Tisch, aus dem sie mir ihre Nachforschungen
referiert.
Sie beginnt ihren Bericht mit der Seife, die man jemandem nicht direkt
in die Hand geben dürfe, weil „man sonst von ihm gewaschen würde“. Als
ich sie verständnislos ansehe, erklärt sie, dass die Toten vor ihrer Beerdi-
gung - die im Islam übrigens viel schneller als bei uns, also innerhalb we-
niger Tage, erfolgt - natürlich gewaschen würden. Wenn jemand einem
and eren also die Seife von Hand zu Hand reichen würde, so wäre dies ein
böses Omen, dass der Gebende vom Nehmenden „gewaschen“ würde,
ersterer also sterben wird.
Ähnlich verhalte es sich mit der Schere; auch sie dürfe keineswegs di-
rekt weitergereicht werden, sondern müsse zunächst auf den Tisch oder
Schrank gelegt werden, bevor der andere sie aufnehme, anderenfalls dro-
he das „Zerschneiden“ der Freundschaft oder Liebe zwischen den beiden
Austauschenden. Ebenso verhängnisvoll sei das Messer, das auch vorher
abgelegt und keineswegs direkt weitergegeben werden solle.
Des weiteren solle man abends keine Zwiebeln einkaufen oder von der
Nachbarin abholen, denn wer abends „weine“, habe die sichere Ankündi-
gung, dass am folgenden Tag etwas Schlimmes geschehe.
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