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Schiiten und Aleviten
Die hier dargestellten fünf „Säulen“ gelten für den sunnitischen Islam,
nicht aber für die Schia („Partei“, bzw. „Spaltung“). Diese größte islami-
sche Gruppe neben den orthodoxen Sunniten versteht sich als Partei Alis.
Ali (ermordet 661) war der Schwiegersohn Mohammeds und berief sich
darauf, vom Propheten als Nachfolger der Gemeinde (Umma) bestimmt
worden zu sein. Er forderte allgemein die Leitung der Umma, also die Ver-
bindung von Imamat und Kalifat, für die Familie des Propheten. Da es für
seine Berufung auf Mohammed keine Zeugen gab, kam es über die Nach-
folge bald zum Streit zwischen den einzelnen Gruppen. Ali unterlag und
wurde getötet, aber seine Anhänger - eben die Schiiten - hielten an sei-
ner Lehre fest. Danach sollen die Kalifen nicht durch die Wahl der Umma,
sondern durch die Zugehörigkeit zur Familie des Propheten legitimiert
sein.
Der größte und bedeutendste schiitische Staat - traditionell ein Feind
der osmanischen Türkei - ist der Iran. In dessen theokratischer Verfassung
ist festgeschrieben, dass das Land vom Ayatollah, gleichsam der höchste
Imam der Schiiten, angeführt wird.
Auch die türkischen Aleviten ( alevi - „Verehrer Alis“) gelten als eine Un-
tergruppe der Schia. In der Türkei gehören immerhin fast 20% aller Musli-
me zu dieser Glaubensrichtung. Besonders im östlichen Zentralanatolien
sind sie stark vertreten. Seit alters von den türkischen Sunniten verfolgt
und unterdrückt, zeichnet sich ihr Religionsverständnis durch weitgehen-
de Dogmenfreiheit und eine damit korrespondierende individuelle Le-
bensphilosophie aus, die eine weit höhere Flexibilität und die Ablehnung
des bei vielen Sunniten so stark hervortretenden Schicksalsglauben
(k£smet) zur Folge hat. Ihre Weltoffenheit wie auch ihr selbstbewusster In-
dividualismus erklären auch die Tatsache, dass sie eher linken, politisch
„fortschrit tlichen“ Parteien nahestehen.
Die Aleviten lehnen die oben dargestellten fünf islamischen Säulen ab.
Ihre Dörfer kommen sogar ohne die sonst allgegenwärtige Moschee aus.
Das Misstrauen der orthodoxen Sunniten erweck(t)en vor allem die oft
dämonisierten und geheimgehaltenen Versammlungen der Aleviten
(cem), an denen Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen teilnehmen
und an denen auch Alkohol (Wein oder Rak£) getrunken wird. Die Leitung
dieser Versammlungen hat ein religiöser Meister ( pir oder dede ), der aus
heiligen Texten (buyruk) und hymnischen Gesängen (nefes) rezitiert. Ritu-
elle Tänze (semah) betonen den spirituellen Charakter der Versammlung,
die aber auch als Ort von Zurechtweisungen bzw. Ermahnungen einzelner
Mitglieder fungieren kann 11) .
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