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Tatsache Rechnung, dass die Orte gewachsen und viel lauter geworden
sind. Kein Mensch hat etwas gegen den Verkehrslärm oder die unfreiwilli-
ge Berieselung durch die abendliche Musik aus der Touristenbar. Aber die
fünf Minuten des Muezzins, die sollen zu laut sein ...“
Natürlich wird es soweit wahrscheinlich nicht kommen. Denn selbst in
den verwestlichten Touristenorten besitzt der Islam unter der arbeitenden
türkischen Bevölkerung genügend Anhänger, die bei einem solchen An-
sinnen auf die Barrikaden gehen würden. Abgesehen davon gibt es durch-
aus Touristen, die dem sonoren Ruf den orientalischen Zauber von Tau-
sendundeiner Nacht abgewinnen können. Und mit der urplötzlich anhe-
benden Männerstimme scheint eine doch nicht gänzlich versunkene Ver-
gangenheit in der Luft zu vibrieren ...
Wer in der Provinzhauptstadt Manisa den Teegarten zwischen den bei-
den benachbarten Moscheen Muradiye Camii und Sultan Camii besucht,
kann zur Gebetszeit ein herrliches Duett hören: Der Vorbeter der Mu-
radiye beginnt kraftvoll mit der mächtigen Rezitation, verstummt und
noch in den Spuren seines Nachhalls wiederholt der Muezzin der Gegen-
seite wortwörtlich den Gesang, der sich so zu einem minutenlangen
Wechselspiel religiöser Harmonien entwickelt. Nur wenige Zuhörer dürf-
ten bei diesem fast schon ästhetischen Gottesanruf negativ berührt sein -
ungeachtet ihrer Einstellung zur islamischen Religion.
Vor über 1000 Jahren haben türkische Stämme bei ihrer Wanderung
nach Westen den Islam angenommen, ja man kann geradezu sagen, dass
sie seit dem Vordringen der Seldschuken der wichtigste weltliche Schutz-
arm der ursprünglich arabischen Religion waren. Die heutige Türkei ist un-
geachtet der nun fast 80-jährigen Herrschaft des Kemalismus
ein isla-
misches Land geblieben.
Über 99% der Bevölkerung (offiziell gibt es
noch 0,2% Christen) bekennen sich zum Glauben
ihrer Vorväter, und vor
allem im Osten wie auch in ländlichen Gebieten prägen auch heute noch
islamische Vorstellungen das Alltagsleben der Gemeinschaft.
Entstehung und Grundlagen des Islam
Die jüngste der großen Weltreligionen fußt auf den Offenbarungen des
Propheten Mohammed
(570-632, eigentlicher Name
Abul Kasim Mu-
hammad Ibn Abdallah
)
,
der als Handelsreisender auf der alten Weih-
rauchstraße zwischen Arabien und Palästina mit den beiden älteren Buch-
religionen des Juden- und Christentums in Kontakt kam. Um das Jahr 610
zog sich
Mohammed
auf den Berg Hira zurück, wo ihm die göttlichen Vi-
sionen der Überlieferung nach durch den Erzengel Gabriel zuteil wurden,
die ihn fortan zum Verkünder der neuen Religion werden ließen.