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Ostanatolien - außerhalb der Reichweite der allierten Besatzungstruppen
- hielten sich türkische Heeresverbände, die sich dem Diktatfrieden von
Sèvres nicht beugen wollten. Auf Druck der Briten entsandte der Sultan
Mustafa Kemal Pascha nach Anatolien, dessen Aufgabe die Demobilisie-
rungderaufständischenTruppenteileseinsollte.StattaberdiesemAuftrag
nachzukommen,setztesich Kemal an die Spitze der Aufständischen, die
auf nationalen Kongressen in Sivas und Erzurum (September 1919) seinen
Führungsanspruchbestätigten.EinhalbesJahrspäter(April1920)beriefen
die türkischen Nationalisten in Ankara die „Große Türkische National-
versammlung“ (Türkiye Büyük Millet Meclisi) ein, die sich zum alleinigen
Vertreter der türkischen Souveränität erklärte; ihr Präsident wurde natür-
lich Mustafa Kemal Pascha.
DieAlliertenreagiertenscharfaufdiesenunerwartetenWiderstand:Der
von den Briten kontrollierte Sultan ließ Mustafa Kemal und seine Mitstrei-
ter ächten, die von den Alliierten unterstützten Griechen besetzten Izmir
unddiealteOsmanenhauptstadtEdirnesowiefastganzThrakien.InOsta-
natolienversuchtendie Armenier, eineneigenenStaatzugründen,derih-
nen im Vertrag von Sèvres durch die Aliierten zugesichert worden war.
Aber Mustafa Kemal zeigte sich der Lage gewachsen; zunächst schlugen
seine reorganisierten Truppen die bereits durch die jungtürkischen Mas-
saker 1915/17 geschwächten Armenier (1920), dann wendete er sich ge-
gen die Griechen, die von Izmir aus nach Norden und Osten vorstießen,
um - der alte griechische Traum seit den Tagen des Dareios - ganz West-
anatolien unter ihre Herrschaft zu bringen. Am Sakarya-Fluss südwestlich
von Ankara trafen die beiden Armeen aufeinander (September 1921);
nach mehrtägigen Gefechten wurden die Griechen vernichtend geschla-
gen und zur Küste zurückgeworfen.
Die tra urigen Auswüchse des nationalistischen Denkens waren dabei
auf beiden Seiten gleich: Hatten die Griechen auf ihrem Vormarsch
zunächstdieTürkenvertriebenundmassakriert,sowaresnunandenTür-
ken, bei der Rückeroberung des Gebietes die Griechen brutal zu vertrei-
ben. Damit mussten die Griechen Kleinasien endgültig Lebewohl sagen.
Weder die persische noch die osmanische Eroberung hatte das Hellenen-
tum aus den Küstenstädten Kleinasiens verbannt; es war der Nationalis-
mus des frühen 20. Jh., der Völkermord und Vertreibung brachte und nun
für politisch, ethnisch und kulturell scharfe Grenzen sorgte.
DiegriechischeArmeeflohnachIzmirzurück,wosievonderbritischen
Flotte in einer Blitzaktion (9.-11. 9. 1921) evakuiert wurde. Mit den Solda-
ten flohen auch die meisten alteingessessenen griechischen Familien, die
zu Recht die Rache der heranrückenden türkischen Armee fürchteten;
ganze 1,3 Mio. Griechen wollten oder mussten Kleinasien verlassen.
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