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rellen Maßstäbe von Zivilisation den rückständigen „Asiaten“ - und dazu
gehörten auch die Türken - aufzuzwingen.
Im Ersten Weltkrieg (1914-18) stand die „Hohe Pforte“ auf der Seite
der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn. Allen drei Mäch-
tenwargemeinsam,dasssiemehroderwenigerkonservativeMonarchien
waren; und alle drei Mächte bezahlten ihre Niederlage gegen die moder-
nen Staaten der westlichen Alliierten nicht nur mit Gebietsverlusten, son-
dern mit der Auflösung ihrer Regierungsform: Das deutsche bzw. öster-
reichischeKaisertumwieauchdas700-jährigeSultanatverschwandenvon
der politischen Landkarte.
DerletzteSultan Mehmed VI. (1918-22)musstederBesetzungIstanbuls
zustimmen; alliierte Truppen - Italiener, Franzosen,Briten und Griechen -
besetzten und kontrollierten türkisches Territorium, die osmanischen Ar-
meensolltendemobilisiertundaufgelöstwerden.DieVertreterdesSultans
mussten im Friedensvertrag von Sèvres (1920) demütigende Bedingun-
gen akzeptieren: alle nicht-türkischen Gebiete mussten abgetreten wer-
den, außerdem sollten Izmir, Thrakien und alle ägäischen Inseln griechi-
scher Verwaltung unterstellt werden. Das ehemalige Weltreich wäre nach
den Bestimmungen von Sèvres zu einem Marionettenstaat, der Sultan zu
einer Gallionsfigur in den Händen der Großmächte herabgesunken.
Dassesnichtdazukam-dieBestimmungendesFriedensvertragstraten
niemalsinKraft-,lagamentschiedenenWiderstandvorallemeinesMan-
nes: Mustafa Kemal Pascha, dem später von einer dankbaren Nation der
Name Atatürk („Vater der Türken“) verliehen werden sollte. Seiner orga-
nisatorischen, politischen wie auch militärischen Geschicklichkeit war es
zu verdanken, dass aus und auf den Trümmern des Osmanischen Reichs
die moderne türkische Republik entstehen konnte. Er brachte nicht nur
den türkischen A rmeen die seit langem verloren gegangenen Siege
zurück,erschworaucheindesorientiertesVolkaufeineneueZukunftein
- allerdings um den hohen Preis eines fast totalen System- und Identitäts-
wechsels: der kompromisslosen Einführung der europäischen Zivilisation.
Kemal Atatürk und die moderne Türkei
Es gibt keine zweite Zivilisation; Zivilisation bedeutet europäische Zivilisa-
tion, und sie muss eingeführt werden - mit ihren Rosen und ihren Dornen.
(Ein Vertreter der Jungtürken 1913)
Wer in Ankara vor dem 1953 fertiggestellten Mausoleum Atatürks steht,
wird die Besuchsempfehlung seines Reiseführers sicherlich mit gemisch-
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