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Und immer mehr neigte nun die gesamte islamische Welt (mit Ausnahme
der Schiiten in Persien - davon später mehr) dazu, in den Osmanen dieje-
nigen zu sehen, die die alte muslimische Staatsgröße und -einheit wieder-
herstellten.
Der Siegeszug der Osmanen und ihre erfolgreiche Frontstellung gegen
die Ungläubigen verstärkte zudem die schon unter den arabischen Kalifen
vorhandene Überzeugung der unendlichen Überlegenheit über die
christlichen Staaten. Es galt nur, si e zu erobern - ansonsten gab es nichts
von ihnen zu lernen. Kaum einer im Osmanischen Reich interessierte sich
fürdas,wasdieeuropäischenStaatensotrieben.UndkeinTürkedes16. Jh.
kamauchnuraufdieIdee,dassdieChristenirgendwanneinmalgefährlich
werden könnten - eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, die die Musli-
me im Gefühl ihrer kulturellen Überlegenheit viel zu spät korrigierten.
Dabei hielten auch die Osmanen am islamischen Prinzip des kulturel-
len Mit- und Nebeneinanders fest: Jede religiöse Gruppe bildete eine
quasi autonome Gemeinschaft (millet), die weitgehend nach ihren eige-
nen kulturellen Bräuchen und Gesetzen leben konnte (entspricht der ara-
bischen Umma ). Die Vorsteher dieser Millets (bei den Juden der Oberra-
biner, bei den orthodoxen Christen der Patriarch, bei den Muslimen der
Scheich ül-islam usw.) waren dem Staat gegenüber für die Abgabe der
Steuern verantwortlich; solange es hier keine Schwierigkeiten gab, misch-
te sich die regierende Kaste kaum in die inneren Angelegenheiten der je-
weiligen Millets.
Die herrschende Schicht war die der Osmanen (osmanl£s), worunter
nichtnurdieMitgliederderSultansfamilie,sondernauchalldiejenigenfie-
len, die aktiv und offiziell staatstragende Funktionen im Reich innehatten.
DiewichtigstenKriterienderZugehörigkeitzuden osmanl£s warendieab-
solute Loyalität zum Sultan, das Bekenntnis zum Islam un d die Kenntnis
der osmanischen Macht- und Verhaltensprinzipien. Dabei war diese
Schicht keineswegs starr; mit Ausnahme des Sultans, der das alleinige und
unverrückbare Zentrum der Macht darstellte, konnte jeder - bei Erfüllung
der drei oben genannten Kriterien - in die Schicht der Herrschenden ein-
treten, aber - hielt er eines dieser Kriterien nicht (mehr) ein - genau so
schnell „abstürzen“. Dieses Aufsteigen und Abstürzen im osmanischen
Machtgefüge war unabhängig von erblichen Rechten und galt für den un-
terstenKanzleigehilfenwieauchfürdenGroßwesir,derhinterdemSultan
fast alle Macht innehatte - und doch von einem Tag auf den anderen
geköpft oder erdrosselt werden konnte (was auch recht häufig geschah).
Alte osmanische Gräber in Eyüp
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