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machen. „Hör zu, morgen ist mein letzter Tag hier. Ich werde nochmal
nachdenken, um morgen dann mit dir einen letzten Tee zu trinken.“
Als ich am nächsten Tag kam, hatte ich mir geschworen, dass mehr als
80 Dollar nicht für mich drin waren. Wieder war die Begrüßung freund-
lich, ja fast schon herzlich, und er fragte mich nach meinen nächsten Rei-
sestationen. Dann sagte er: „Ich will nicht, dass du mit leeren Händen von
hier wegfährst. Ich geb' dir also die Jacke für 100. Ich bin nun um die Hälf-
te heruntergegangen. Schlag ein.“ Ich antwortete ihm mit seinem Satz
vom Vortag: „Allah hat die Menschen ungleich gemacht. Deshalb können
die einen mehr, und die anderen nur weniger zahlen. Es tut mir leid, aber
ich kann höchstens 80 Dollar zahlen, das ist das Äußerste.“ Wenn er dies
nicht akzeptieren könne, würde ich es ihm nicht verübeln und keineswegs
mit leeren Händen von hier wegfahren, denn ich würde seine Gastfreund-
schaft und die Gespräche nicht vergessen.
Er seufzte, als ob er einen schweren Entschluss fassen müsste. Ob ich
denn wollte, dass er gar nichts mehr an der Jacke verdiene? Ich verneinte,
beharrte aber auf meinem Preis. „Ein Geschäft ist das für mich finanziell
nicht mehr. Aber uns trennen nur noch zwanzig Dollar und die Jacke steht
dir sehr gut. Ich will, dass du sie trägst. So lass uns denn jeder zum Schluss
die gleiche Strecke zurücklegen, damit wir beide unsere Ehre behalten. 90
Dollar.“ Ich zögerte, überlegte und gab mir einen Ruck. „Du bist der Stär-
kere. Und es macht dem Stärkeren keine Ehre, von dem Schwächeren das
Gleiche zu verlangen, sondern nur den Teil, um den er schwächer ist. 85
Dollar“ und ich hielt ihm die Hand hin. Er schlug ein.
Traditionelles Feilschen - Hintergründe
Das traditionelle Feilschen ist nicht nur eine ökonomische, sondern gleich-
zeitig eine ehrenerweisende Austauschhandlung (Sayg£, ¦eref) . Denn
die Ehrenhaftigkeit der Handelspartner war in unsicheren Zeiten ein uner-
lässlicher Verhaltenskodex für den Warenverkehr, der beiden Beteiligten -
Händler wie Käufer - neben dem Wertzuwachs durch die objektive Ware
auch einen Zuwachs an sozialem Ansehen versprach. Beiden wohlge-
merkt, sodass der Zuwachs auf beiden Seiten möglichst gleich, zum ge-
genseitigen Vorteil erfolgen sollte. Die rituelle Dynamik des Feilschens
ähnelt damit dem uns schon bekannten Verhältnis der Gastfreundschaft,
in dem Ungleichheit als Voraussetzung der wechselseitigen Ehrenbezeu-
gung auf höherer Ebene wieder Gleichheit erzeugt.
So ist der Käufer zunächst einmal Gast, der durch sein Interesse an der
Ware seines Gastgebers diesem selbst Sayg£ und ¦eref ein bringt. Und so
wie die aufwendige Gastfreundschaft den Gast in eine Ungleichheit
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