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Denken Sie daran, dass Sie als Mann in einer traditionellen türkischen
Familie dem Hausherrn ein Geschenk überreichen, nicht der han£m (Ehe-
frau). Ein galanter Strauß Blumen für die Ehefrau mag in einer westlich ein-
gestellten, sich an modernen Rollenmustern orientierenden Familie noch
gerade so angehen, in einer traditionellen Familie auf dem Land würde er
Bestürzung und Verlegenheit - wenn nicht Schlimmeres - hervorrufen.
Ebenso verständlich wird nach dem nun Gesagten auch, dass das Ab-
schlagen einer Einladung (und sei es die simple zum Tee) immer die Ge-
fahr birgt, dass der andere sich beleidigt fühlen kann, denn sie verweigern
ihm ja praktisch ¦eref; eine plausible Erklärung, die dem Einladenden im-
mer noch für die Absicht der Einladung selbst Dank und Ehre zollt, sollte
parat sein.
Die bisherigen Erläuterungen über das Wechselspiel von Einladung und
Gegeneinladung laufen aber nun nicht nach deutscher Stammtischmani-
er ab, also so, dass Sie ihrem Gastgeber nach einem Glas Tee den nächs-
ten zu bezahlen hätten. Ein traditionsbewusster Türke wird das katego-
risch zurückweisen, mit Hinweis darauf, dass Sie nun in seinem Land Gast
sind, komme er einmal nach Deutschland, würde das ja anders sein. In ei-
nem Restaurant bezahlt der Einladende für alle. Auch bei einer spontan
erfolgten Zusammenkunft, die keiner förmlichen Einladung entspricht,
wird die Tischrechnung im Restaurant von einer Person beglichen. Nach
deutschem Brauch (alman üsüllü) zu zahlen, stößt bei Türken auf Unver-
ständnis, gegebenenfalls sogar leichter Verachtung, denn dieses Jeder-für-
sich-Bezahlen lässt die oben beschriebene Dynamik des Einladungspro-
zesses erst gar nicht entstehen, sodass also auch keine ¥ eref-Wertigkeiten
entstehen können. Auch wenn Sie nur mit deutschen Bekannten in ein tür-
kisches Restaurant gehen, sollten Sie deshalb vorher geklärt haben, wer
die Ze che übernimmt (teilen kann man dann immer noch später); das Auf-
bröseln einer großen Gemeinschaftsrechnung verlangt dem Kellner eini-
ges ab und macht Sie zudem zum bestaunten Zentrum der aufmerksa-
men Tischnachbarn.
Sollten Sie allerdings länger bei einer türkischen Familie zu Gast sein
oder sollten Sie an feinen Zeichen (z. B. abwartendes Bezahlen im Restau-
rant) erkennen, dass ihr Gegenüber einer Gegeneinladung nicht mehr
abgeneigt ist, so sollten Sie ihre Chance nutzen: Bestehen Sie darauf die-
ses Mal zu bezahlen oder sich anderweitig erkenntlich zu zeigen. Je nach
dem Grad des Protestes, den ihr Angebot bei ihrem Gegenüber hervorru-
fen wird, können Sie erkennen, ob ihre Analyse richtig war.
Ich bin einmal eine ganze Woche lang von mir vordem völlig unbe-
kannten Algeriern, die selbst keineswegs wohlhabend waren, in einer
Stadt der Südsahara von morgens bis abends versorgt und eingeladen
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