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Die Gastfreundschaft
Kommen Sie zu Freunden!
(Werbeslogan)
Mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass die sprichwörtliche türki-
sche Herzlichkeit und Offenheit Fremden gegenüber wie ein Markenartikel
angepriesen wird ...
(Barbara Yurtda¥) 84)
Tourismus und Gastfreundschaft
Die Bedenken von Yurtda¥, eine mit einem türkischen Mann verheiratete
Schriftstellerin, sind noch sehr gemäßigt - und auch etwas ungenau - aus-
gedrückt. Nein, es kann einem nicht „wohl“ sein bei der zum Slogan der
Tourismuswerbeindustrie verkommenen Lobpreisung einer sozialen Ver-
haltensweise, die unter anderem von dem gleichen Tourismus - wir re-
den hier von Massen - deformiert und zerstört wird. Aber machen wir uns
nichts vor: Es ist nicht nur und nicht in erster Linie der auf die Urlaubsorte
beschränkte Devisenansturm, der der traditionellen, aus halbnomadischer
Zeit stammenden Gastfreundschaft (konukseverlik) den Garaus macht, in-
dem er sie zu einer Art Serviceleistung plus Lächeln transformiert.
Es ist in allererster Linie die langsame, aber kontinuierliche Auflösung je-
ner sozialen und dörflichen Strukturen, die jahrhundertelang die Gast-
freundschaft als unverzichtbares Element einer schwer zu bereisenden
Welt würdigten. Es ist wie immer: Der moderne, westliche Mensch, der
sich so sehr um seine individuelle Unabhängigkeit bemüht und meist
noch nicht einmal seinen Nachbarn zu kennen genötigt ist, bewundert
gerne die pittoresken, warmherzigen Tugenden der Vergangenheit, ja er
schwärmt von ihnen, wird ihm doch hier bewusst, dass ihm in seinem in-
dividuellen, aber immerhin abgesicherten Konsumparadies irgendetwas
abhanden gekommen ist. Wer den andern nicht braucht, ist eben schnell
allein. Und wer allein ist, aber immerhin viel Geld hat, der wird bald auch
bereit sein, für Wärme, Freundlichkeit und Glück zu zahlen. Womit wir
wieder bei dem obigen Slogan und vielen Illusionen wären.
Der gleiche Tourist würde aber nach zwei oder drei Wochen in einer
traditionellen türkischen Gastfamilie die umfassende „ Betuttelung“, die
totale Versorgung und Betreuung, wohl leid sein und sich nach der mo-
dernen Großstadtanonymität sehnen. Barbara Yurtda¥ bringt ihren inne-
ren, kulturellen Zwiespalt auf den Punkt: „Zu meiner Schande muss ich
gestehen, ich fühle mich als Gast in einer türkischen Familie nicht unein-
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