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scheidend seien. Die Aleviten drehen folglich das Argument gegen die
Sunniten einfach um: Diese seien dreckig, weil sie sich nur oberflächlich
(äußerlich) wüschen, nur auf die Rituale und Situationen schauten, ohne
sich aber innerlich so zu verhalten.
Man erkennt leicht den alten grundsätzlichen Gegensatz zwischen ei-
nem eher persönlichen, inneren Verhältnis zu Gott (Aleviten, Christen)
und einem äußeren Verhältnis, in dem es nicht auf die innere Intention
und Üb erzeugung, sondern auf den rituellen Vollzug ankommt. Die reli-
giöse, soziale, moralische Wirklichkeit liegt für die Sunniten nicht in den
Personen, sondern herrscht außerhalb, in einer von Gott geformten und
festgelegten Welt, in der sich der einzelne durch sein äußerlich korrektes,
der Situation entsprechendes Verhalten nur noch anzupassen hat. Diesem
Gegensatz zwischen persönlicher Selbstbestimmung einerseits (die Alevi-
ten stehen hier dem westlichen Denken sehr nahe) und der unpersönli-
chen und starren Situationsabhängigkeit andererseits (die Sunniten er-
scheinen als unflexible Vertreter einer vormodernen Geschlossenheit und
Unfreiheit) werden wir immer wieder begegnen.
Kommen wir auf das Konkrete zurück. Die ehrenvollste Position im
Haus gebührt natürlich dem heiligen Buch, dem Koran; er darf nur im Zu-
stand der Reinheit angefasst und rezitiert werden, wobei er stets mit der
rechten, keinesfalls mit der linken Hand bedient und geführt wird. Das
gleiche gilt beim Essen: Die Speisen werden mit der rechten Hand zum
Mund geführt, die linke Hand bleibt mehr oder weniger beschäftigungs-
los. Letztere ist nämlich unrein; mit ihr reinigt man sich auf der Toilette.
Toilette
Spätestens an diesem profanen Punkt rümpfen hygiene- und sitzklobe-
wusste Europäer, die sich bei einem Tagesausflug von ihrem Urlaubsort ei-
ner dörflichen tuvalet (Toilette) gegenübersehen, die empfindliche Nase.
Und sie fragen sich mit Blick auf eingangs erwähntes Vorurteil, wer denn
wohl eher als unhygienisch bezeichnet werden muss: derjenige, der sich
auf einem properpolierten Keramikthron niederlässt und den Allerwertes-
ten mit dreifachgeschichtetem Blümchentissue verwöhnt (Toilette alla fran-
ga), oder derjenige, der in unbequemer Hockhaltung über einem fliegen-
umschwirrten Plumpsklo (Toilette alla turca) mühsam das Gleichgewicht
zu halten versucht und sich mit Wasser - Papier gibt es weit und breit
nicht - und der linken Hand reinigen muss.
Die Antwort ist auch hier provozierend einfach: der Europäer. Während
nämlich der anatolische Bauer sein Klo gar nicht berührt und auch die Rei-
nigung mit Wasser und der eigenen Haut (Hand) betreibt, sitzt der Eu-
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