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nend, dass für Zentralanatolien erst nach der Schlacht von Mantzikert
(türk.: Malazgirt) im Jahr 1071 der große Kultureinschnitt erfolgte, das bis
dato christliche Gebiet also an islamische Herrscher fiel (die es dann bis
heute ja auch nicht mehr abgegeben haben).
Noch abgeschlossener, ja fast isolierten Mikrokosmen gleich, erweisen
sich die Hochtäler Ost- und Südostanatoliens. Die bis über 5000 m ho-
he (Ararat 5165 m), von tiefen Flusstälern und Gebirgszügen zergliederte
Bergwelt provoziert geradezu eine dörfliche, in sich ruhende Besied-
lungsstruktur, deren Mobilität äußerst gering ist. Das extreme kontinentale
Klima (einige Dörfer sind im Winter quasi für Monate von der Außenwelt
abgeschnitten) und die bis in jüngster Zeit gültige infrastrukturelle Unzu-
gänglichkeit machen das abgelegene Gebiet zu einem Hort der Tradition
und Inflexibilität. Selbst die starke Landmacht der Osmanen übte ihre
Herrschaft hier hauptsächlich über die Lokalfürsten aus (Kurdenstämme),
sodass die Bewohner dieses Gebietes für Jahrhunderte de facto sich selbst
überlassen waren.
Sozialer Gegensatz zwischen Stadt und Land
Damit ist bereits Entscheidendes über die Grundvoraussetzungen der
zweiten Kategorie Land-Stadt gesagt. Kleinasien war und ist - sieht man
von der Marmara- und Ägäis-Region einmal ab - ein hauptsächlich agra-
risch bestimmtes Gebiet, auch wenn die - aus dem Westen importierte!
- römisch-hellenistische Stadtkultur der Antike hier Fuß fassen konnte.
Aber spätestens mit der Herrschaft der asiatisch-nomadischenTurkmenen
(Osmanen) reduzierte sich die Stadtkultur der anatolischen Regionen auf
wenige Verwaltungsorte, die an den wichtigen Handelswegen Zen-
tralanatoliens lagen (Konya, Kayseri). So blieb Istanbul, das beherrschen-
de Zentrum der maritimen Marmara-Region, bis zu Beginn des 20. Jh. die
einzige nennenswerte Großstadt (¥ehir), in der, wenn auch in abgeschlos-
sener Gilden- und Milletform, verschiedene Kulturen zu Hause waren.
Noch zur Zeit der Republikgründung nach dem Ersten Weltkrieg, als die
Türkei rund 10 Millionen Einwohner hatte, lebten rund 85% der Gesamt-
bevölkerung auf dem Land. Und trotz der Atatürkschen Reformen, die der
westlichen Moderne und damit auch dem sozialen Raum der Stadt als ver-
bindlichem Entwicklungsmodell folgten, änderte sich bis in die 50er-Jahre
des 20. Jh. wenig an der Dominanz der Landwirtschaft.
Mit der wirtschaftlichen Liberalisierung unter der Regierung Mende-
res floss dann verstärkt privates Kapital in Industrie und Handel, wovon
natürlich besonders die Städte profitierten. Dies hatte zur Folge, dass die
Nachfrage nach billigen Arbeitskräften in den Städten sprunghaft anstieg.
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