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Frage stellt, was einen „echten“ Madri-
lenen auszeichnet. Das Viertel ist nicht
übermäßig groß, gemeinhin versteht
man darunter die Zone zwischen Gran
Vía, calle de Fuencarral, calle Carranza
und calle de San Bernardo. Mittelpunkt
ist die Plaza del Dos de Mayo [C/D1].
Die Straßen sind nicht allzu breit, ohne
gleich von „eng“ zu sprechen, viele Häu-
ser auch nicht mehr ganz taufrisch. Die
meisten Bewohner leben dennoch ger-
ne hier. Es gibt eigentlich alles, was man
braucht: die kleine Nachbarschaftsbar,
den Tante-Emma-Laden, den Bäcker,
Schlachter usw. So weit, so idyllisch.
Aber es gibt eben auch noch eine an-
dere Seite von Malasaña, nämlich ein
ausgeprägtes Nachtleben. Die Bewohner
dieses Viertel hatten schon immer einen
gewissen rebellischen Geist, das wurde
beim Aufstand 1808 gegen die Franzo-
sen, aber auch in den Nach-Franco-Jah-
ren deutlich. Nirgendwo sonst rebellierte
man nach Francos Tod 1975 heftiger ge-
gen den Muff als hier. In Malasaña ex-
plodierte das Nachtleben. Schrille Musik-
bars eröffneten, die sich fundamen-
tal von den sonst üblichen Kneipen in
Spanien unterschieden. Sie waren laut,
schrill, bunt, spielten Rockmusik und
zeigten eben nicht nur das spanische
Fernsehen. Gefragt waren beispielswei-
se Videoaufnahmen der deutschen TV-
Sendung „Rockpalast“, die damals abso-
lut „cool“ war - wir reden hier von Zei-
ten vor MTV, Internet und Facebook. Den
Autoren ist der Betreiber einer jener frü-
hen Musikbars bekannt, der regelmäßig
die im Kaufhaus El Corte Inglés auslie-
gende Zeitschrift „Bravo“ durchblätter-
te und nachsah, wann mal wieder eine
Rockpalast-Sendung lief. Anschließend
rief er seine deutschen Freunde an, die
diese Sendung für ihn aufzeichnen soll-
ten. Die Videokassette lief dann in seiner
Kneipe rauf und runter und war der Hit.
Ja, so war das in den fröhlichen 1980er-
Jahren ...
Nach Malasaña kamen all diejeni-
gen, die sich ein neues Klima, ein freie-
res Spanien und mehr Lebensfreude er-
hofften und diese feierwütige Stimmung
wurde dann auch bald unter dem Be-
griff movida madrileña („Madrider Be-
wegung“) bekannt. Es gab sie zwar nicht
nur im Malasaña, aber hier begann alles.
Und die alteingessenen Bewohner des
Viertels? Sie machten gute Miene zum
„neuen Spiel“, denn wenn jede Nacht
eine Party nach der anderen vor dem ei-
genen Schlafzimmer stattfindet, werden
die Nerven doch arg strapaziert. Irgend-
wann war die movida aber Geschichte,
denn schrille Bars und exzentrische Le-
bensstile etablierten sich auch in an-
deren Vierteln. Dennoch hat sich der
Ruf des Viertels erhalten und noch im-
mer gibt es hier verrückte Bars, Musik-
pubs und viel feierwütiges Volk. Manch-
mal zum Leidwesen der Bewohner, denn
gerade in Malasaña war leider vor al-
lem in den letzten Jahren die Kultur der
botellones (wörtlich: „große Flaschen“)
verbreitet. Damit sind Zusammenkünfte
auf öffentlichen Plätzen von zumeist jun-
gen Menschen gemeint, die dort heftig
feiern und die mitgebrachten Flaschen
kreisen lassen. Die Drinks in den Bars
sind ihnen zu teuer, daher kaufen sie im
Supermarkt die Literflasche Bier (oder
härtere Drinks) und ab geht die öffent-
liche Party - zum Teil so heftig, dass die
Polizei einschreiten muss.
Heute zeigt sich Malasaña als Viertel
mit zwei Gesichtern: Tagsüber hocken
die Rentner auf den öffentlichen Plätzen,
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