Travel Reference
In-Depth Information
Die Frage, was einen echten Römer
ausmacht, ist eigentlich unsinnig; es gibt
ihn nämlich nicht. Es existieren aber ge-
wisse Vorschriften, die genau beschrei-
ben, wie er beschaffen sein sollte: Min-
destens auf sieben Generationen muss
sich ein Stammbaum zum Beispiel zu-
rückverfolgen lassen, damit ihm das Prä-
dikat eines wirklichen Römers verliehen
wird. Dies hat einen einfachen Grund:
Vor sieben Generationen durften nach
Sonnenuntergang nur Römer in der Stadt
schlafen. Allerdings wird sich ein derartig
seltenes Exemplar nur schwerlich finden
lassen. Wir brauchen uns nur die Situati-
on nach der Besetzung Roms durch itali-
enische Truppen 1870 vorzustellen: Ein
katholischer Kleinstaat, dessen 200.000
Einwohner hauptsächlich aus Priestern
und Nonnen bestanden.
Da diese sich nicht besonders schnell
vermehrten, kann es nur an der starken
Zuwanderung in den letzten hundert Jah-
ren liegen, dass die Einwohnerzahl heute
dreißigmal so hoch ist.
Drei sprunghafte Anstiege der Bevöl-
kerungszahl hatte die Stadt in den letz-
ten hundertvierzig Jahren zu verzeich-
nen: Einmal zwischen 1870 und 1890,
nach der Gründung des Königreiches,
dann als Folge der faschistischen Politik
zwischen 1921 und 1939 und schließ-
lich als Ergebnis des italienischen Wirt-
schaftswunders nach dem 2. Weltkrieg.
Ein Großteil der Einwanderer kam aus
dem Süden des Landes. Sie alle versuch-
ten, vom Aufschwung der Wirtschaft zu
profitieren - nicht wenige von ihnen en-
deten in den Slums.
Die italienischen Könige brachten ih-
ren piemontesisch-toskanischen Hof-
und Beamtenstaat mit nach Rom, der
die besser dotierten Jobs in der neuen
Hauptstadt Italiens bekam. Traditionell
und ungebrochen ist die Einwanderung
aus den nahe gelegenen Abruzzen.
Den „echten Römer“ gibt es also nicht.
Vielleicht kommen wir den Menschen nä-
her, wenn wir uns ihre soziale Zusam-
mensetzung ansehen. Die Oberschicht
der Stadt setzt sich aus den Angehörigen
gewisser Kasten zusammen, wie etwa die
der Politiker: Immerhin besteht das Parla-
ment im Palazzo Montecitorio aus 630 Ab-
geordneten, dazu kommen noch 315 Se-
natoren. Die Bedeutung eines Abgeordne-
ten ist nicht zu vergleichen mit der eines
Bundestagsabgeordneten. Ein onorevole ,
ein Ehrenvoller, ist vor allem auch verant-
wortlich für ein Heer von Bittstellern, die
sich an ihn wenden. Dabei geht es um Ge-
werbescheine, Schwerstbehindertenaus-
weise oder sonstige Gefälligkeiten.
Der in Rom lebende Filmemacher und
Schriftsteller Luciano de Crescenzo er-
klärt die Mentalität der italienischen Poli-
tik so: „Ein Beispiel für ein auf das Gesetz
gegründetes Gemeinwesen ist England
und ebenso der größte Teil der westli-
chen Demokratien. Italien hingegen ist
typisch für eine Organisationsform mit
Pyramidenstrukturen, in denen die Ban-
de des Blutes und der Freundschaft
mehr zählen als Rechtsansprüche.“
Dieses Wesensmerkmal drückt sich
auch im familiären Zusammenleben
aus, kaum ein Römer verlässt vor sei-
ner Heirat das Elternhaus. Ein Grund da-
für liegt sicherlich in der katastrophalen
Wohnungssituation in Rom. Andererseits
ist es aber auch ein Beharren auf einem
Leben im Familienverband, gepaart mit
einer gewissen Bequemlichkeit.
Roms Stadtbild wird, nicht zuletzt, von
den Mitarbeitern des Vatikanstaats be-
stimmt. Der Papst und seine Untergebe-
Search WWH ::




Custom Search