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rich VIII. oft zu Besuch kam, mindes-
tens einmal stand er unangemeldet zum
Abendessen vor der Tür. Nach dem Mahl
gingen der König und sein Lordkanzler
im Garten spazieren, der Herrscher hatte
freundschaftlich den Arm um den Huma-
nisten gelegt. Morus kommentierte die
Geste so: „Ich danke dem Herrn, ich bin
wirklich in der Gnade meines sehr guten
Herrn; und ich glaube, dass er mir seine
Gunst so sehr wie nur irgendeinem im
Reich schenkt. Nichtsdestoweniger will
ich sagen, dass ich keinen Grund habe,
stolz darauf zu sein, denn wenn mein
Kopf ihm ein Schloss in Frankreich ein-
bringen könnte, dann würde er ihn mir
zweifellos abnehmen.“ Morus gab sich
also keinerlei Illusionen über den König
hin, denn bis zur Amtszeit des Humanis-
ten als Lordkanzler hatte Heinrich VIII. ja
schon etliche Leute einen Kopf kürzer
machen lassen. Vielleicht ahnte Morus,
dass es ihm nicht anders ergehen sollte.
Von Chelsea bis zum Regierungssitz
in Westminster war es nicht weit und vor
dem Haus von Morus lag immer ein Ex-
pressboot bereit, das mit acht Ruderern
besetzt war und den Lordkanzler jeder-
zeit schnell zum König bringen konnte.
Morus' Statue steht vor der Chelsea
Old Church, im Innern der Kirche liegt
neben seinen zwei Ehefrauen auch der
Schriftsteller Henry James (1843-1916)
begraben. Obwohl amerikanischer Ab-
stammung, verbrachte James den größ-
ten Teil seines Lebens in Chelsea (Lon-
don, so schrieb er einmal, sei „das voll-
ständigste Kompendium der Welt“). Im
Kirchhof ruhen die sterblichen Reste
von Sir Hans Sloane. Die ältesten Teile
des Gotteshauses gehen auf das 13. Jh.
zurück. An der südlichen Seite befin-
det sich die Thomas-Morus-Kapelle, un-
ter der - so erzählt eine Legende - der
kopflose Körper des großen Humanis-
ten begraben sein soll. Sein abgeschla-
gener Kopf, der zur Abschreckung an der
London Bridge aufgespießt worden war,
konnte auf Geheiß seiner Tochter von
Häschern gerettet werden und wurde
in der Familiengruft in der St. Dunstan's
Church in Canterbury zur letzten Ruhe
gebettet.
µ Old Church Street/ecke Cheyne Walk,
Tel. 77951019, www.chelseaoldchurch.org.
uk, Di, Do 14-16 uhr, u-Bahn South Ken-
sington oder Sloane Square, Busse 19, 49,
211, 319
B Cheyne Walk *
[I17]
Entlang des Themseufers flussaufwärts
gehend, stoßen wir nun auf den Cheyne
Walk. Nirgendwo sonst in London haben
auf derart engem Raum so viele berühm-
te Zeitgenossen gewohnt wie hier.
Beginnen wir mit der Hausnummer 3:
In den 1970er-Jahren hatte hier Keith
Richards von den Rolling Stones sein
Quartier. In Nr. 3 (erbaut 1718) lebte un-
ter dem Pseudonym „George Eliot“ die
Schriftstellerin Mary Ann Evans (1819-
1880), eine herausragende Frauenfigur
der Viktorianischen Ära. Schon in jungen
Jahren trat sie als Übersetzerin hervor
und schrieb philosophische Artikel für
die Westminster Review, die ihr ersten
Ruhm einbrachten. 1854 heiratete sie
den Schriftsteller und Goethe-Überset-
zer George Henry Lewes (1817-1871).
Offiziell wurde die Hochzeit annulliert, da
im Viktorianischen Zeitalter die erste Ehe
von Lewes nicht geschieden wurde. Den-
noch fühlte sich Mary Ann als Gemahlin
von Lewes und ihre mehr als 20 Jahre
dauernde Beziehung zu ihm ruinierte ih-
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