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Zweit- und Dritverwertung von Filmen. Und nicht zuletzt gibt es eine riesige
Marketingmaschinerie, die dafür sorgen soll, dass man einen Film nicht einfach
nur sehen möchte, sondern meint, ihn aus einem tiefen Grundbedürfnis heraus
erleben zu müssen.
Als mein Sohn ein Auslandsjahr an einer Schule in Argentinien verbrachte, iel es
mir plötzlich sehr viel leichter, ebenfalls für längere Zeit ins Ausland zu gehen.
Ich wollte aber nicht wie bisher einfach nur reisen, sondern den Ausland-
saufenthalt mit einem Projekt oder Studium verbinden. Also entschloss ich mich,
ein Drehbuch-Aubaustudium zu beginnen. Aber wo? Über deutsche Er-
denschwere verfüge ich ausreichend, ich fand, ein Komplementärkontrast täte
mir gut. Also großes kommerzielles Unterhaltungskino. Aus Sprachgründen iel
die Entscheidung gegen Bollywood. Blieben London, New York oder Los Angeles.
Das Zünglein an der Waage war, ich gebe es zu, das Weter. Die Vorstellung, dem
Berliner Winter zu entkommen und vielleicht zwischen den Vorlesungen surfen
gehen zu können, verursachte mir aufgeregtes Herzklopfen, und das Angebot, bei
Cornelia Funke wohnen zu dürfen, erübrigte jedes Zögern.
Der erste Tag an der University of California Los Angeles (UCLA) begann damit,
dass jeder sich und einen seiner Lieblingsilme pitchen , also kurz vorstellen, soll-
te. Etwas Bekanntes, aber Ungewöhnliches sollte es sein, und so entschied ich
mich für Patrice Chéreau's »Intimacy«. Immerhin war der Film für den Europäis-
chen Filmpreis nominiert gewesen und hate den Goldenen Bären in Berlin ge-
wonnen. Weder die Dozentin noch die Kommilitonen haten allerdings je davon
gehört.
Mein Englisch ist zwar gut, aber doch nicht so, dass ich vor Publikum aus dem
Stegreif einen packenden Kurzvortrag halten kann, und vor lauter Aufregung
merkte ich zu spät, dass ich miten dabei war, eine intime Sexbeziehung zu bes-
chreiben. Mein Gestammel wurde immer schlimmer. Ein Mann und eine Frau
treffen sich regelmäßig, um miteinander zu schlafen - ohne sich jedoch zu
kennen. Als der Mann der Frau hinterherspioniert und herausinden möchte, wer
sie in ihrem normalen Leben ist, verliert diese hemmungslose Liebesgeschichte,
die auf Anonymität basiert, ihre Unschuld. Und an genau dieser Stelle machte ich
den fatalen Fehler und verwechselte virginity mit innocence , also Jungfräulichkeit
mit Unschuld. Es folgte ein schwer zu ertragender Moment der Stille im Klassen-
zimmer, den die Dozentin mit folgenden Worten aulöste: Well, that's very
European.
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