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3.4 Der Regulator Algorithmus (RGA)
Die heuristische Orientierung der etablierten Evolutionären Algorithmen an der biologischen
Evolution basiert, wie bemerkt, auf der sog. Modern Synthesis ; diese besagt, dass es Gene gibt,
die die ontogenetische Entwicklung des Organismus determinieren, und dass auf diesen Genen
die Variation, nämlich Mutation und Rekombination operiert. Gesteuert wird der gesamte Pro-
zess durch die Selektion auf der Ebene des Phänotypus. Wesentlich dabei ist vor allem die
Annahme, dass es nur einen Typus von Genen gibt, auch wenn jedes Gen unterschiedliche
Entwicklungsaufgaben wahrnimmt. Dieser Annahme folgen, wie gezeigt wurde, die bisher
entwickelten Evolutionären Algorithmen, was auch für das erwähnte Genetische Program-
mieren und das Evolutionäre Programmieren gilt.
Seit einiger Zeit ist jedoch der evolutionären Molekularbiologie deutlich geworden, dass es
mindestens zwei verschiedene Gentypen mit deutlich unterschiedlichen Funktionen gibt. 3 Der
eine Typus wird als „Baukastengene“ bezeichnet und entspricht im wesentlichen der Genvor-
stellung, die noch für die Modern Synthesis charakteristisch war, also die genetische Determi-
nation der individuellen Ontogenese durch Ausprägung der einzelnen Körpereigenschaften.
Der zweite Typus, der bereits Ende der Sechziger durch die französischen Biologen Jacob und
Monod entdeckt wurde, wird als Steuergen oder auch als Regulatorgen bezeichnet. Diese Gene
bestimmen nicht die Entwicklung spezieller Eigenschaften, sondern „steuern“ die Baukasten-
gene, indem sie diese an- oder abschalten. Ob also bestimmte Baukastengene aktiv sind und
dadurch die Entwicklung spezifischer Eigenschaften ermöglicht wird, entscheidet sich danach,
ob die jeweiligen Steuergene selbst aktiv sind oder nicht. Die biologische Evolution findet also
nicht nur durch die Entstehung und Variation bestimmter Baukastengene statt, sondern auch
durch die Entstehung und Variation von Steuergenen (vgl. dazu Carroll 2008). 4
Ein mathematisches Modell, also ein Evolutionärer Algorithmus, der diesen molekular-
biologischen Erkenntnissen als heuristische Grundlage Rechnung trägt, lässt sich dann folgen-
dermaßen charakterisieren:
Die traditionellen Evolutionären Algorithmen sind formal als eindimensionale Systeme - wie
die Vektoren in den Fallbeispielen - aufzufassen, deren Elemente durch die genetischen Opera-
toren von Mutation und Crossover miteinander verbunden sind. Genauer gesagt bestehen diese
Systeme aus einer Population eindimensionaler Teilsysteme, was jedoch die Dimensionszahl
des Gesamtsystems nicht erhöht. In der folgenden Abbildung wird dies noch einmal verdeut-
licht mit einer Population aus zwei eindimensionalen Elementen:
Bild 3-1 Zwei eindimensionale Elemente einer Population Evolutionärer Algorithmen
3 Tatsächlich wird gegenwärtig sogar angenommen, dass es drei Typen von Genen gibt, wovon hier
allerdings abstrahiert wird.
4 Damit lässt sich z. B. erklären, warum so verschiedene Organismen wie Mäuse und Menschen ungefähr
die gleiche Anzahl von Genen auf der Baukastenebene haben, aber phänotypisch völlig verschieden
sind. Menschen haben nämlich wesentlich mehr Regulatorgene.
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