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sog. großen Volksparteien CDU und SPD zeigt, ist in OPINIO ein Effekt der Durchschnittsbil-
dung bei Berechnung der Umgebungswerte. Es ist einsichtig, dass eine Durchschnittsbildung,
an der sich die Zentrumszelle orientiert, zu mittleren Gesamtwerten führt; entsprechend werden
die meisten Zellen ihren eigenen Zustand an mittleren Umgebungszellen messen. Nur in den
selteneren Fällen, in denen extreme Umgebungswerte dominieren, findet eine „Radikalisie-
rung“ der jeweiligen Zentrumszellen statt. Wenn man einmal unterstellt, dass die Regeln von
OPINIO in etwa das repräsentieren, was als Meinungsbildungen in der sozialen Realität be-
kannt ist, dann findet sich durch OPINIO eine Legitimierung des Strebens aller Parteien zur
„politischen Mitte“: Es hat anscheinend mathematisch angebbare Gründe, dass die Mehrheit
der Wähler zu gemäßigten, also mittleren Positionen tendiert. Nicht berücksichtigt wird in
diesem Modell natürlich das Auftreten von Ereignissen, die die Meinungen radikalisieren
könnten. Die bisherige Geschichte der Bundesrepublik jedenfalls gibt den Ergebnissen von
OPINIO eher Recht.
Zum anderen findet eine Segregation von Trägern verschiedener Meinungen statt bzw. es ent-
steht eine Entwicklung zur Clusterung von Zellen mit gleichen Meinungen mit den „Radika-
len“ in isolierten Randgruppen. Dies Phänomen, das bei einer etwas anderen Fragestellung
schon von Schelling (1971) bei ZA-Simulationen beobachtet wurde, gibt es ebenfalls in der
Realität: Dies wird als die Bildung homogener sozio-politischer Milieus bezeichnet, d. h. als
der Trend von Individuen, sich sozial mit einstellungsmäßig gleichen Individuen zu verbinden.
Es sei hier nur angemerkt, dass die räumliche Nähe auf dem ZA-Gitter als soziale Nähe zu
interpretieren ist, nicht notwendigerweise als physikalisch räumliche Nähe. Im Zeitalter des
Internet macht es umso mehr Sinn, soziale Nähe auch dann festzustellen, wenn die Akteure
Hunderte oder Tausende von Kilometern räumlich entfernt sind.
Die Ähnlichkeit der Simulationsergebnisse mit realen Sachverhalten ist ein starker Hinweis
darauf, dass die Regeln von OPINIO als relativ valide bezeichnet werden können. Das ist auch
kein Zufall, da diese Regeln ja, wie bei sozialen Soft-Computing-Modellen häufig, aus Be-
obachtungen über das Alltagsverhalten von Menschen gebildet worden sind.
Neben den erwähnten Segregationseffekten und der Dominanz mittlerer Positionen zeigt sich
jetzt ein Zusatzeffekt, der sich als Matthäusprinzip bezeichnen lässt. Das Matthäusprinzip -
wer hat, dem wird gegeben, wer wenig hat, dem wird auch dies noch genommen (Matthäus
Evangelium 13, 12) - besagt grob, dass kleine Vorteile dazu führen können, dass diese auf
Kosten der jeweiligen Konkurrenten stark anwachsen und schließlich die gesamte Entwicklung
dominieren. Derartige Matthäuseffekte sind in vielen sozialen und natürlichen Bereichen be-
kannt. Hier könnte man die SPD als Gewinner durch Matthäuseffekte bezeichnen.
So sehr Matthäus-Effekte allgemein bekannt sind, so sehr zeigen sich hier jedoch auch die
Grenzen von OPINIO. In der realen politischen Landschaft spielen selbstverständlich auch
andere Effekte eine Rolle, insbesondere systemexterne Ereignisse, die die Meinungsbildung
ebenfalls beeinflussen. 10 Im Gegensatz zu den Zellen von OPINIO reagieren politische Indivi-
duen auch negativ auf Matthäuseffekte und steuern dem entgegen: Eine einzelne Partei darf
nicht zu stark werden.
10 Hier sind natürlich insbesondere die unterschiedlichen Medien zu erwähnen, die ebenfalls die Mei-
nungsbildung zum Teil stark beeinflussen. Das Modell kann entsprechend erweitert werden, dazu
wären jedoch entsprechende empirische Untersuchungen (sofern es diese bereits gibt) zu berücksich-
tigen.
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