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legt werden, die damit eine spezielle - soziale oder kognitive - Geometrie charakterisieren
(Klüver 2000). Ein Arbeiter z. B. in einem globalen Konzern kann gewöhnlich nicht mit dem
Vorstandsvorsitzenden direkt interagieren, sondern nur indirekt, d. h. durch eine Kette von
Verbindungspersonen. Es sei nur angemerkt, dass diese Definition der Geometrie eines Sys-
tems weitgehend dem entspricht, was in der so genannten allgemeinen Systemtheorie als
„Struktur“ in einem gewöhnlich statischen Sinne bezeichnet wird (vgl. z. B. für die Analyse
sozialer Netzwerke, Freeman 1989); erst in neuesten Arbeiten wird berücksichtigt, dass diese
auch Einflüsse auf die Dynamik von Netzwerken hat (vgl. z. B. Bonneuil 2000 für soziale
Netzwerke; Klüver und Schmidt 1999). 5
Als ergänzender Hinweis muss noch erwähnt werden, dass große Systeme, d. h. Systeme mit
sehr vielen Elementen, auch „lokale“ Attraktoren bilden können. Damit ist gemeint, dass ein
derartiges System, das durch eine hohe Komplexitätsklasse charakterisiert wird, mehrere
Attraktoren gewissermaßen parallel erreichen kann. Insbesondere ist es möglich, dass das Sys-
tem insgesamt keinen globalen Attraktor ausbildet, also sich nicht stabilisiert, sondern lokal
Punkt-attraktoren erreicht, während sozusagen um die lokalen Attraktoren ständige Verände-
rungen in Form von Attraktoren mit langen Perioden oder sogar seltsamen Attraktoren gesche-
hen. Kauffman (1995), der unter anderem derartige Systeme in Form von Booleschen Netzen
(siehe unten) untersucht hat, bezeichnet diese lokalen Attraktoren als „Inseln im Chaos“.
Formal kann ein lokaler Attraktor folgendermaßen definiert werden: Gegeben sei ein System S.
Sei nun f die Gesamtheit der Regeln lokaler Wechselwirkungen, Z(S) ein Zustand von S und A
der Zustand einer echten Teilmenge S´ von S zum gleichen Zeitpunkt; A sei ein Attraktor-
zustand. Dann ist A ein lokaler Punktattraktor, wenn gilt:
f(A) = A und
S´ S sowie
f(Z(S)) z Z(S).
(1.6)
Entsprechend wird ein lokaler Attraktor der Periode k > 1 definiert.
Ein derart komplexes Verhalten ist allerdings nur bei Systemen in der 3. bzw. 4. Komplexitäts-
klasse möglich. Es sei hier nur darauf hingewiesen, dass im Falle sozialer oder kognitiver Sys-
teme solche Differenzen zwischen lokalem und globalem Verhalten alles andere als selten sind.
Eine Gesellschaft kann sich insgesamt in einem extrem unruhigen Zustand befinden (lange
Perioden der globalen Attraktoren oder gar keine erkennbaren Attraktoren), während gleichzei-
tig in Subbereichen soziale Stabilität herrscht. Eine Kirche (als Institution) etwa kann sich sehr
stabil verhalten, während gleichzeitig die gesamte Gesellschaft in einer revolutionären Phase
ist. Entsprechendes gilt z. B. für das Gehirn, dessen parallele Informationsverarbeitung (siehe
unten) es ermöglicht, sowohl lokale kognitive Punktattraktoren zu bilden, die als feste Bedeu-
tungserkennung interpretiert werden können, als auch in anderen Bereichen durch kognitive
Unsicherheit bestenfalls nur Attraktoren ausbildet, die Perioden der Länge k > 1 haben. In dem
Fall „oszilliert“ das Gehirn sozusagen um mehrere Möglichkeiten und kann sich nicht festle-
gen. Dies ist aus dem sozialen Alltag durchaus bekannt, wenn man einen bestimmten Men-
schen in einer Gruppe sofort und eindeutig als eine bekannte Person identifiziert - „mein alter
Freund Fritz“ - und gleichzeitig bei einer attraktiven Frau unsicher ist, ob dies nun Claudia
oder Heidi ist.
5
Generelle und topologische Regeln müssen nicht eindeutig sein, d. h., sie können den Elementen
„individuelle“ Freiheitsräume lassen. Dies wird in den Beispielen der folgenden Kapitel häufig eine
Rolle spielen.
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