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erreichen. Ihre Attraktionsbecken sind sehr groß, d. h., viele unterschiedliche Anfangszustände
generieren den gleichen Attraktor. Klasse 2 hat immer noch relativ große Attraktionsbecken, ist
jedoch bereits sensitiver gegenüber Anfangszuständen. Es werden sowohl Punktattraktoren als
auch Attraktoren mit Periodenlänge k > 1 erreicht. Klasse 3 ist die Klasse der chaotischen Sys-
teme mit extrem hoher Sensitivität gegenüber Anfangszuständen und der Generierung von
ausschließlich seltsamen Attraktoren. Klasse 4 schließlich ist die eigentlich wichtige Komple-
xitätsklasse, da hier sowohl einfache Attraktoren erzeugt werden, die zum Teil nur lokal, d. h.
nicht im ganzen System, erreicht werden, als auch eine hohe Sensitivität gegenüber Anfangs-
zuständen zu verzeichnen ist: Die Attraktionsbecken sind häufig ziemlich klein und bestehen
zuweilen aus nur einem Anfangszustand.
Man kann verhältnismäßig einfach zeigen, dass die Wolframklassen komplexe Systeme sowohl
nach der einen Definition (Menge der möglichen Zustände) als auch nach der anderen (Kapazi-
tät der Informationsverarbeitung) gleichartig einteilen: Klasse 1 ist die am wenigsten komple-
xe, dann folgen Klasse 2 und 3 und schließlich enthält Klasse 4 die „eigentlich“ komplexen
Systeme. Es ist einsichtig, dass z. B. Systeme der Klassen 1 und 2 aufgrund der relativ großen
Attraktionsbecken oftmals nur relativ wenig verschiedene Attraktorzustände generieren, da die
Unterschiedlichkeit der Anfangszustände sozusagen durch die gleichen Attraktoren wieder
verschwindet. Entsprechend gering ist die Kapazität der Informationsverarbeitung: Wenn man
die Information, die ein System erhält, als einen spezifischen Anfangszustand definiert - oder
als Kombination von Anfangszuständen und zusätzlichen Eingaben in das System -, dann geht
ein Teil dieser Information wieder durch große Attraktionsbecken verloren; das System verar-
beitet unterschiedliche Informationen so, dass es stets gleiche Ergebnisse erhält (bei gemein-
samen Attraktionsbecken für unterschiedliche Informationen). Im 4. Kapitel wird gezeigt, dass
damit auch die Fähigkeit neuronaler Netze erklärt werden kann, einmal gelernte Muster auch
dann wieder zu erkennen, wenn sie „gestört“ eingegeben werden, also unvollständig oder feh-
lerhaft. Entsprechend höher ist die Komplexität von Systemen der Klasse 4 aus den gleichen
Gründen, nämlich ihren häufig nur kleinen Attraktionsbecken und zum Teil nur lokal wirksa-
men Attraktoren.
Dass die chaotischen Systeme der Klasse 3 nicht zu den „wirklich“ komplexen Systemen ge-
rechnet werden, hat seinen Grund darin, dass ihre Trajektorien in einem seltsamen Attraktor
Zustandsfolgen bilden, die von Zufallsfolgen häufig kaum zu unterscheiden sind. Dies bedeu-
tet, dass man hier nicht mehr von Ordnung sprechen kann und dass eingegebene Informationen
praktisch verloren gehen: Die Systeme stabilisieren sich nicht und jede neue Information stört
das System, führt aber zu keinem erkennbaren Ergebnis. Nur die Systeme der Klasse 4, die
einem schönen Bild folgend „am Rande des Chaos“ ihre Dynamik entfalten, bilden lokale
Ordnungsstrukturen - Attraktoren - und realisieren sehr viele verschiedene Zustände (Kauff-
mann 1995; Langton 1992).
Bei der Definition von Regeln lokaler Wechselwirkung muss man grundsätzlich zwischen zwei
verschiedene Regeltypen unterscheiden. Zum einen gibt es Regeln, die generell gelten, d. h.,
sie treten jedes Mal in Kraft, wenn die Bedingungen dafür gegeben sind. Damit ist jedoch noch
nichts darüber gesagt, ob und wie häufig sie wirksam werden, da dies vor allem davon abhängt,
ob bestimmte Elemente des Systems überhaupt miteinander in Wechselwirkung treten können.
Ob dies geschieht, ist eine Frage der Topologie bzw. der Geometrie des Systems, die darüber
entscheidet, wer mit wem interagiert (Klüver und Schmidt 1999; Cohen et al. 2000; Klüver et
al. 2003; Klüver 2004) . Im Fall physikalischer oder biologischer Systeme ist dies häufig eine
Frage des physikalischen Raumes wie z. B. bei Räubern und Beutetieren; ob ein Räuber eine
Beute fängt, hängt maßgeblich davon ab, in welcher Entfernung sich Räuber und Beute befin-
den. Im Falle sozialer und kognitiver Systeme muss dies durch „topologische“ Regeln festge-
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